Sommerfestival-Kollaborationen: Trend zum Event
Hajo Schiff
Bilder an die Wand und fertig: Das war mal. Schon länger geht der Trend zum Event. Kaum eine Ausstellung ohne begleitendes Symposion oder spartenübergreifende Interventionen, besonders in der nächsten Woche. Theater und Museum mischt der französische Choreograf Xavier Le Roy. Seine „Retrospective“ ist eine Ausstellung, die als Choreografie konzipiert ist. Neun Tänzer interpretieren Teile seiner zwischen 1994 und 2009 entstanden Choreografien für die Ausstellungsbesucher, die für Maria Lassnigs Bilder in die Deichtorhallen kommen. Die eintretenden Besucher aktivieren durch ihre Anwesenheit einen choreografischen Ablauf, und es beginnen Dialoge mit den Tänzern. Das Projekt ist Teil des Internationalen Sommerfestivals auf Kampnagel, das dieses Jahr besonders auf Kollaborationen zwischen Künstlern der verschiedenen Sparten und Genres setzt. Xavier Le Roy – Retrospective. Deichtorhallen, Di–So 12–18 Uhr. 8.–25. 8. in der noch bis 1. 9. laufenden Ausstellung „Der Ort der Bilder“ von Maria Lassnig
Ebenfalls im Rahmen des Sommerfestivals begibt sich die bildende Künstlerin Monika Grzymala auf die Bühne und erarbeitet mit der Band Xiu Xiu und dem amerikanische Choreografen Jeremy Wade „Dark Material“ eine Performance, die mit Bewegung, Musik und schwarzem Tape Diagramme des Unbewussten in den Raum zeichnet. Zeitgleich zeigt die polnisch-deutsche Künstlerin in der Hamburger Kunsthalle eine Rauminstallation aus 3,3 km Klebeband und frei schwebenden, großen Bögen handgeschöpften Papiers. Beiden Ansätzen gemeinsam ist die Überführung der suchenden Bewegung der Zeichnung, ihrer Überschneidungen und Verknotungen in die dritte Dimension. Monika Grzymala, Kunsthalle, Di–So 10–18 Uhr, Do bis 21 Uhr. Bis 25. August. Dark Material: 8.–11. 8., 19 Uhr, Kampnagel
Das Künstlerkollektiv Baltic Raw gestaltet das Kampnagel-Außengelände als spekulatives Dorf. Wie schon auf der Expo Shanghai oder vor der Hamburger Kunsthalle arbeiten Móka Farkas, Christoph Janiesch und Berndt Jasper mit ihren temporären Utopien und sozialen Experimenten im Zwischenraum von Architektur und Skulptur, Stadtplanung und Ortsbesetzung. Zum spekulativen Dorf gehört ein multifunktionaler Gebäudekomplex und die „Kanalphilharmonie“. Im hinteren Teil des Avant-Gartens empfängt Madame Abidjaninski im „Tripi-Tipi“ Botaniker und Psycho-Aktivisten zu mentalen Reisen, etwa um in intimer Atmosphäre die eigene „innere Pflanze“ kennenzulernen. Avant-Garten: 7.–25. 8., ab 18.30 Uhr, Kampnagel
Mit Wahrsagern hatte auch Christian Jankowski gearbeitet, um 1999 seine Chancen für die Venedig-Biennale auszuloten. Für Kampnagel konzipiert der Berliner Künstler eine Ausstellung mit neueren Arbeiten, die das Festival-Thema Kunst und Realität aufgreifen und das Verhältnis von Betrachter und Inszenierung spiegeln: Das Video „Crying for the March of Humanity“ zeigt eine mexikanische Telenovela-Folge, bei der die Dialoge durch Gefühlsausbrüche der Darsteller ersetzt sind, „My Audience“ ist eine Serie, für die Jankowski das Publikum seiner öffentlichen Auftritte fotografiert; und „Visitors“ zeigt Gästebuch-Einträge von Kunst-Institutionen als Neon-Installation. Christian Jankowski – 100 % Realismus: 7.–25. 8., 18.30–24 Uhr, Kampnagel
Das Symposion zu allem fragt nach dem aktuellen Begriff von Realismus in Kunst, Literatur, Politik und Populärkultur. Vorträge und Diskussionen gibt es zu spekulativer Realität und falscher Dokumentation, zu Fernseh-Realität und dem heutigen Verständnis von Pop.
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