piwik no script img

Alsternähe mit Abitur

Das neue Wohnlagenverzeichnis wertet weite Teile St. Georgs erheblich auf – mit entsprechenden Mieterhöhungen. Juristen raten zur Gegenwehr: Begründung der Behörde „ziemlich schwammig“

VON MATHIAS BECKER

Das Schreiben, das Petra und Rainer Fiedler* im vergangenen November ins Haus flatterte, mussten die beiden gleich zweimal lesen. Um 20 Prozent werde ihre Miete erhöht, teilte die Wohnungsbaugesellschaft Saga ihnen darin in wenigen Zeilen mit. Der Grund: Laut neuem „Wohnlagenverzeichnis“ hausen die Fiedlers jetzt nicht mehr in „normaler“, sondern in „guter“ Wohnlage.

Bis zu dreieinhalb Euro pro Quadratmeter mehr

Und tatsächlich: Im Oktober 2006 beschloss die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU), die meisten Adressen zwischen Langer Reihe und Alster auf dem Papier „aufzuwerten“. Eine folgenreiche Entscheidung für die Anwohner: „Für kleine Wohnungen können Vermieter jetzt im Durchschnitt 3,60 Euro pro Quadratmeter mehr fordern, große Wohnungen werden etwa um einen Euro pro Quadratmeter teurer“, weiß Christiane Hollander vom Verein „Mieter helfen Mietern“. Die Juristin rät jedoch dazu, die Erhöhung prüfen zu lassen. Denn die Argumente der BSU stünden auf wackeligem Grund.

„Grundlage der Entscheidung ist ein höchst kompliziertes statistisches Verfahren“, beteuert indes BSU-Sprecherin Helma Krstanoski. Relevante Variablen seien Bodenpreise, Alsternähe und „Gebietsstatus“. Letzterer stehe für den „Imagewechsel“, den der Stadtteil durch „Sanierungen und verbesserte Infrastruktur“ vollzogen habe.

Bei solchen Argumenten rollen sich Michael Joho die Fußnägel auf. „Die Alster ist nicht wirklich neu“, gibt der Vorsitzende des Einwohnervereins St. Georg zu bedenken. Und von der verbesserten Infrastruktur hat er auch noch nichts gemerkt: „Hier haben zwar Dutzende Cafés aufgemacht. Aber manchmal will man ja einfach eine Dose Fisch kaufen.“ In den Räumen des Supermarkts an der Langen Reihe befindet sich inzwischen ein Sonnenstudio.

Auch die Schulversorgung habe gelitten: Die ehemalige Heinrich-Wolgast-Realschule ist nur noch Grundschule. Weitere wohnlagenrelevante Kriterien wie Bebauungsdichte, Verkehrsanbindung und Begrünung hätten sich auch nicht positiv verändert, kritisiert Joho. Und auf die Sanierung zu verweisen, hält er für den größten Skandal: „Wer hier vor 20 Jahren mit öffentlicher Förderung saniert hat, kann sich heute auf dem Wege höherer Mieten auch noch die Zinsen auszahlen lassen.“

Kein Grund, die sozial Schwachen zu verdrängen

Der kämpferische Bürger hakte nach und bekam von der BSU einen weiteren Indikator serviert: den gestiegenen Bildungsgrad der Anwohner. Joho verärgert: „Muss ich jetzt mehr Miete zahlen, weil mein Nachbar Abitur hat?“ Klar, St. Georg sei „schicker“ geworden, aber das dürfe kein Grund sein, die sozial Schwachen aus dem Viertel zu verdrängen. Er befürchtet, dass den bereits betroffenen Adressen weitere folgen werden: „Politisch gewollt ist, das Viertel zur ‚Visitenkarte der Stadt‘ zu machen – ohne Rücksicht auf die Menschen, die hier seit Jahrzehnten leben.“

Er fordert die Bezirksversammlung auf, endlich eine „soziale Erhaltensverordnung“ für den Stadtteil zu beschließen. Dann hätte die Stadt das Vorkaufsrecht auf alle Häuser, etwa um diese an Genossenschaften zu verkaufen – zumindest aber, um weitere Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen zu verhindern. Denn auch auf diesem Wege würden Mieter verdrängt, sagt Joho.

„Im aktuell betroffenen Bereich haben wir das versäumt“, räumt Susanne Kilgast von der SPD in St. Georg ein. Für das neue Sanierungsgebiet im Bereich der Böppmannstraße setze sie sich aber für die Erhaltensverordnung ein. Parteifreund Helmut Wiederhold geht noch weiter: „Man kann die Entscheidung der BSU auch rückgängig machen“, so seine Hoffnung. Besonders ärgert ihn, dass ausgerechnet die städtische Saga sich als Vorreiter bei Mieterhöhungen profiliert.

Den Fiedlers und vielen anderen Mietern des Stadtteils helfen diese politischen Auseinandersetzungen vorerst nicht. Sie sehen nicht ein, dass in ihrem Wohnviertel nun Mieten möglich sein sollen wie etwa in Pöseldorf – und verweigerten ihre Zustimmung zur Mieterhöhung. Die Saga bleibt hart und droht nun mit einer Klage vor dem Amtsgericht.

„Da muss man durch“, erklärt Hollander und glaubt, dass die Fiedlers den Prozess gewinnen können: „Die Begründung der Behörde ist ziemlich schwammig – bei einer unabhängigen Prüfung kann das Gericht zu einem ganz anderen Ergebnis kommen.“ Wer rechtsschutzversichert ist, sollte es darauf ankommen lassen, so die Anwältin, denn „je mehr sich wehren, um so stärker sind sie“. Für sie geht es dabei um mehr als ein paar Euro: „Hier soll Menschen ihr Zuhause genommen werden.“

*Namen geändert

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen