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Monumentale Monotonie

ROCK II Die finnische Band Circle beendeten ihr zweitägiges Gastspiel im NK mit einem Konzert unter dem Namen Pharaoh Overlord

Das ist wirklich mal praktisch: Ein Festival mit nur einer Band bestreiten. Wenn man, wie die Finnen vom Kollektiv Circle aus der Hafenstadt Pori, gleich über ein Dutzend Nebenprojekte verfügt, möchte man ja nicht unbedingt auf eine musikalische Identität festgelegt werden. Wobei Circle in ihrer über 20-jährigen Geschichte schon diverse Genres von Prog Rock über Krautrock bis Ambient erkundet haben, aber das nur am Rand. Im NK gaben sie jetzt an zwei Abenden das Circlefest: Dienstag konnte man Circle als Circle erleben, tags darauf empfahlen sie sich mit einem Auftritt ihrer Stoner-Rock-Variante Pharaoh Overlord.

Stoner Rock zeichnet sich in der Regel durch langsame, zerdehnte Riffs aus, an deren Tempo sich auch die verschobene Wahrnehmung, wie sie etwa durch Cannabis-Konsum hervorgerufen wird, mühelos anpassen kann. In der Lesart von Pharaoh Overlord ist dieser Rock weniger schwer als reduziert. Die Finnen, die als Experten auf dem Gebiet der monumentalen Monotonie gelten, türmten Groove-Ungeheuer auf, denen sich der Körper irgendwann unterwerfen muss.

Verführung geschieht ja nicht selten über die Wiederholung einer bestimmten Geste. In der Musik von Pharaoh Overlord wird dieser Gedanke auf die elementarste Formel gebracht: Ein Riff, nicht übermäßig prägnant, aber kompakt genug, um ermüdungsfrei in die Endlosschlaufe geschickt zu werden, kreist so lange im Raum herum, bis sich seine Information noch in den verstecktesten Körperzellen der Zuhörer eingenistet hat. Und so tanzte oder wiegte der Saal fast permanent und zunehmend heftiger, während die zwei Deckenventilatoren stoisch die tropenfeuchte, zigarettenrauchverdichtete Luft zu kühlen versuchten.

Zu Beginn des Konzerts mochte man sich noch fragen, ob man sich vielleicht doch im Tag geirrt hatte, allzu krautrockartig trommelte das Schlagzeug seine motorisch-geraden Figuren vor sich hin, während Sänger und Gitarrist Janne Westerlund seinem Mikrofon Unverständliches anvertraute. Die Bedenken zerstreuten sich aber spätestens nach dem zweiten Stück.

Eine Überraschung des Abends war der Gastmusiker Hans Joachim Irmler von der bis heute in verschiedenerlei Gestalt aktiven Krautrockband Faust. Am Synthesizer fügte der sich unaufdringlich in die Klangwälle der ihn umgebenden Gitarristen. Wer weiß, ob die Hypnose ohne ihn genauso suggestiv und, ja, mystisch geraten wäre?

So ganz unter sich blieben Circle beziehungsweise Pharaoh Overlord allerdings nicht. Als Vorband spielte das Leipziger Trio Warm Graves, die mit ritualistischem Getrommel, flächigen Orgeln und klingelnden Gitarrenakkorden an eine heftig psychedelische Ausgabe der beliebten Britband Coldplay erinnerten. Nur der heiser-krächzende Gesang passte da nicht ganz so ins Bild.

Für ein stilechtes, wenn auch unerwartetes Finale sorgte schließlich die Polizei: Um 23.20 Uhr bauten sich plötzlich drei Ordnungshüter in Schutzwesten neben dem verdutzten finnischen Tontechniker auf, um ihm zu bedeuten, dass das Konzert unverzüglich zu beenden sei. Nachbarn, die bei Lärmbelästigung zum Telefon greifen, gibt es anscheinend nicht nur in Prenzlauer Berg. TIM CASPAR BOEHME

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