: „Meister so wichtig wie Master“
HOCHSCHULEN Bildungsministerin Annette Schavan will, dass sich die Universitäten für Berufstätige öffnen und die Lehre mehr Wertschätzung erfährt. Für beides soll es Anreize geben
■ 54, ist CDU-Mitglied und seit dem Jahr 2005 Bundesministerin für Bildung und Forschung. Zuvor hatte die gebürtige Rheinländerin das gleiche Amt zehn Jahre lang in Baden-Württemberg inne. Schavan studierte Erziehungswissenschaft, Philosophie und Katholische Theologie und promovierte 1980 mit der Arbeit „Person und Gewissen – Studien zu Voraussetzungen, Notwendigkeit und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung“. Seit diesem Semester lehrt sie als Honorarprofessorin Katholische Theologie an der Freien Universität Berlin.
INTERVIEW CHRISTIAN FÜLLER UND ANNA LEHMANN
taz: Frau Schavan, eine Abiturientin möchte Katholische Theologie, Philosophie und Erziehungswissenschaft studieren. Würden Sie ihr zuraten?
Annette Schavan: Studieren Sie es, würde ich ihr raten. Studieren Sie genau die Fächer, die Ihnen wichtig sind!
Und wenn sie damit keinen Job findet?
Genau das haben viele gesagt, als ich mich damals für diese Fächerkombination entschieden habe: „Was soll das?“ Die einzige Entschuldigung, die man mir zubilligte, war diese: „Eine Frau findet in der Regel einen, der sie ernährt.“ Für die Studienwahl gilt heute wie damals, dass immer eine persönliche Komponente dabei sein sollte. Ist es dieses Studienfach, für das ich mich begeistern kann? Sie sollten diese Frage mit ‚Ja‘ beantworten können.
Wieso werben Sie dann so für Ingenieurwissenschaften?
Weil ein großer Teil unseres künftigen Wohlstands mit technologischer Entwicklung zu tun hat. Weil die allermeisten in die Geisteswissenschaften wollen und mathematische, ingenenieur- und naturwissenschaftliche Fächer, die sogenannten MINT-Fächer, scheuen. Davon unabhängig bleibt jedoch richtig, dass es für jedes Studium ein persönliches Interesse geben muss.
Den meisten Bachelor-Studierenden ist der Praxisbezug wichtiger als die Forschungsorientierung. Ersetzt der Bachelor bald die Ausbildung?
In vielen Ländern ist es so, aber bei uns sehe ich das nicht. Nahezu 44 Prozent der jungen Leute haben im vergangenen Jahr ihr Studium begonnen. Die wollen doch nicht alle forschen. Deshalb ist der Erwerb von Kompetenzen für einen Beruf kein Verrat an der Universität. Praktischer Nutzen ist kein Widerspruch zur akademischen Sinnerfahrung.
Ist die deutsche Universität schon im 21. Jahrhundert angekommen?
Ich habe großen Respekt vor unseren Hochschulen. Deutschland gehört zu den drei beliebtesten Gastländern für ausländische Studierende – neben den USA und Großbritannien. Das kommt nicht von ungefähr. Gleichwohl ist nicht jeder in unseren Universitäten schon im 21. Jahrhundert angekommen. Manche betrachten die Vergangenheit nostalgisch. Doch 16 Semester Kunstgeschichte oder 14 Semester Philosophie zu studieren, hat noch nie wirklich Spaß gemacht. In Wahrheit haben viele Kommilitonen das Ziel aus den Augen verloren und sind dann tatsächlich Taxifahrer geworden.
Was hat die moderne Uni den Studenten denn zu bieten?
Wissenschaft, Bildung und Internationalität, ein Spektrum an Studiengängen, das es so vorher nicht gab, und schließlich eine neue Rolle der Hochschule im lebenslangen Lernen.
Wie wollen Sie die Hochschulen für Arbeiter und Facharbeiter öffnen?
Ein Beispiel für neue Initiativen ist der Wettbewerb, mit dem überzeugende Konzepte für ein berufsbegleitendes Studium gefördert werden. Wir werden 30 bis 40 innovative Konzepte der Hochschulen und ihrer regionalen und überregionalen Kooperationspartner fördern. Ziel ist es, ein Studium in der aktiven Berufsphase aufnehmen zu können. Der Wettbewerb wird vom Bildungsministerium über mehrere Jahre mit insgesamt 250 Millionen Euro unterstützt.
Was ist daran modern?
Modern daran ist, dass nicht allein die jungen Menschen und die Senioren zur Hochschule gehen. Die neue Studienstruktur bietet viele neue Möglichkeiten. Etwa für Menschen, die neben der Arbeit studieren und sich damit beruflich weiterentwickeln möchten. Wir haben übrigens schon heute viele Hochschulen, die mit ihren Konzepten ganz neue Wege gehen.
Zum Beispiel?
Die Uni Oldenburg baut zusammen mit der Universität Groningen in den Niederlanden eine European Medical School auf. Damit sind die neuen Studienstrukturen Bachelor und Master, neue Lehrkonzepte und Impulse für eine internationale Medizinerausbildung verbunden. Das ist ein Beispiel für Dynamik und Modernität.
In der ursprünglichen Idee der Studienreform mag viel Dynamik gesteckt haben. Der Bachelor-Alltag freilich ist oft starr – und alles andere als frei. Was ist da schiefgelaufen?
Zwei Schwachstellen fallen mir auf. Die neuen Studiengänge brauchen Anteile für das, was früher Studium generale hieß und eben nicht allein auf die fachliche Seite ausgerichtet ist, sondern der Allgemeinbildung dient. Das Bundesbildungsministerium wird deshalb einen Verbund von 15 europäischen Universitäten fördern, die Anregungen für ein entsprechendes Curriculum erarbeiten.
Und das zweite Manko?
Es braucht eindeutig mehr Wertschätzung für die Lehre. Deshalb hat der Bund die dritte Säule des Hochschulpakts mit einem Finanzvolumen von 200 Millionen Euro pro Jahr angeboten. Damit ist die große Chance verbunden, die Qualität der Lehre deutlich zu verbessern. Das ist nach der Exzellenzinitiative eine weitere Exzellenzinitiative, diesmal mit dem Schwerpunkt Lehre. Dabei sollen kreative Konzepte der Lehre entstehen.
Wie sieht denn eine kreative Lehrveranstaltung aus?
Hinter einer kreativen Lehrveranstaltung steckt vor allem ein didaktisches Konzept. Zu einem didaktischen Konzept gehört die wirkliche Kommunikation zwischen Lehrenden und Studierenden, das Gespräch zwischen dem Dozenten und seinen Studenten. Natürlich wird mir sofort die Gegenfrage gestellt: „Wie soll das ein Professor machen, wenn er 200 Studenten hat?“
Gute Frage.
Deshalb wird die dritte Säule des Hochschulpakts auch zu einer Verbesserung der Betreuungsrelation führen. Das Thema Betreuungsrelation gehört zu den Dingen, die schon vor zehn Jahren hätten beantwortet werden müssen.
Warum ist das nicht passiert? Haben die Universitäten zu wenig Personal eingestellt?
Die Politik hat die finanzielle Weiterentwicklung der Hochschulen einfach nicht konsequent genug verfolgt. Das tun wir jetzt.
Das heißt, Sie als Bundesministerin werden weiter Geld in die Unis pumpen?
Wir pumpen nicht einfach Geld in die Unis. Wir geben finanzielle Anreize für neue Konzepte. So wird das Wissenschaftssystem noch attraktiver.
Der Anteil der Akademiker in der Bevölkerung ist seit Jahrzehnten konstant. Führen Ihre Wettbewerbe wirklich eine Trendwende herbei?
■ Der Kongress: An ihrem 31. Geburtstag blickt die taz nach vorn. Welche Unis wollen wir? Und welche können wir uns leisten? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt des taz-Labors am 24. April in Berlin. Die taz diskutiert mit Gästen wie Annette Schavan (Bildungsministerin), Julian Nida-Rümelin (Philosoph) und natürlich mit Ihnen, den Lesern. Mehr unter www.tazlab.de
■ Die Serie: Wo es an den Hochschulen kracht, wer jetzt profitiert und wer verliert, lesen Sie jede Woche in der taz, fünfmal in Folge. Am 6. April Teil drei: Die heimliche Bundes-Uni. An der Uni Karlsruhe läuft derzeit das größte Hochschulexperiment der Republik.
Wir haben den Trend in den vergangenen Jahren bereits verändert. Die Studienanfängerzahlen sind seit 2005 von 36 auf nahezu 44 Prozent gestiegen.
Andere Länder haben viel investiert, um mehr Leuten eine akademische Bildung zu ermöglichen. Hat Deutschland das nicht nötig?
Natürlich wollen wir mehr Akademiker. Aber nicht nur die Zahl der Akademiker zählt, wenn wir uns die Leistungsfähigkeit des Bildungssystems anschauen wollen. Wir müssen selbstbewusster mit den Abschlüssen der beruflichen Bildung umgehen.
Ist ein Meister so viel wert wie ein Master?
Ein Meister ist so wichtig wie ein Bachelor oder ein Master. Der Meister gründet Unternehmen und schafft Arbeitsplätze. Deutschland ist so erfolgreich, weil es die duale Ausbildung hat.
Ihre Kollegen, die europäischen Bildungsminister, wollen den Meister aber lediglich dem Bachelor gleichstellen.
Sie meinen den europäischen Qualifikationsrahmen. Die Gleichsetzung von Meister und Bachelor ist ein sehr guter Schritt. Dahinter steckt viel mehr Selbstbewusstsein als in der Vergangenheit.
Dennoch ist es so, dass die demografische Kurve nach unten zeigt, 2016 ist es mit dem Studierendenboom schon vorbei. Wo sollen denn die künftigen Fachkräfte herkommen?
Jeder Jugendliche muss einen Schulabschluss erreichen, der eine Ausbildung oder ein Studium ermöglicht. Das ist das Ziel für die Bildungsrepublik Deutschland in den nächsten Jahren.
Das heißt, bis 2016 soll es also keine Schulabbrecher mehr geben? Das ist ein ehrgeiziges Ziel!
Ja. Und zugleich ist es für die Jugendlichen wichtig. Aber selbst wenn uns das gelingt, bleibt die Tatsache, dass in zehn Jahren rund 3 Millionen unter 25-Jährige weniger hier leben werden als heute. Darum muss es uns gelingen, Talente aus aller Welt für Deutschland zu gewinnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen