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WENN AUS FLÜCHTLINGEN MENSCHEN WERDENEmpathie lernen

Foto: Lou Probsthayn

KATRIN SEDDIG

Ich bin enttäuscht. Seit siebzehn Jahren wohne ich in Hamburg und ich fühle mich als Hamburgerin. Was diese Stadt unter anderem ausmacht, und womit ich immer mein Wohlgefühl hier begründe, ist die tatsächlich irgendwie vorhandene hanseatische Weltoffenheit. Ich war immer überzeugt davon, dass in Berlin mehr Nazis rumlaufen als in Hamburg, dass man dort rassistischer und xenophober sei. Das ist ein Grund, Hamburg vorzuziehen, wo doch Berlin, ach Berlin, mittlerweile so viele andere Vorzüge hat.

In letzter Zeit gibt es wieder vermehrt Diskussionen über die Unterbringung von Flüchtlingen. Es gab Vorfälle in Hellersdorf, einem eher ärmeren Stadtteil Berlins, bei dem sich ein paar Hellersdorfer Einwohner, die selber einen irgendwie mitleiderregenden Eindruck machten, auf eine äußerst dumme und aggressive Art in Szene setzten, um ihre Abneigung gegen die „Fremden“ zum Ausdruck zu bringen. Das ging durch die Presse und durch alle sozialen Foren, man hat schön gelacht über den „rosa Nazi“ und all die anderen, die in Hauspuschen dastanden und Bild-Zeitungs-Sprüche von sich gaben (mittlerweile hat sich die Situation etwas verändert).

Hier in Hamburg, dachte ich, da sieht es doch anders aus. Da gibt es sicher auch ein paar Verschreckte und ein paar geistig Verarmte, aber die Leute sind doch insgesamt etwas aufgeklärter und haben mehr Verständnis.

So denke ich, so dachte ich, aber schön fühlt es sich zu Hause an, wenn man die Augen schließt und zu träumen beginnt. Hallelujah. Hamburg ist die Axel-Springer-Geburtsstadt. In Hamburg wird nicht nur gemotzt, hier wird geklagt. Nachdem die Unterbringung von 120 Flüchtlingen auf dem Gelände eines ehemaligen Recyclinghofs im Stadtteil Lokstedt ganz anständig auf dem Rechtswege verhindert wurde, sollen jetzt rund 200 Flüchtlinge in Containern auf einem Parkplatz wohnen. Aber auch das ist nicht genehm, dem Tierpark Hagenbeck jedenfalls nicht, der mit dem Ruin rechnet, weil ihm 150 Parkplätze abgehen, die ihm gar nicht gehören. Aha.

Man kann das Ganze emotional angehen. Man kann versuchen, sich in einen Flüchtling hineinzuversetzen, etwas fragwürdig gerade geschehen bei ZDF Neo (aber immerhin), man kann es wenigstens versuchen, das vertraute Gesicht des eigenen Kindes, Mutter, Vater, Liebsten über eines der ihren zu legen, nur mal versuchen, einen Hauch von Familienempathie in die Menschenliebe mit einzuspeisen. Man kann aber auch mal ganz nüchtern denken. Vielleicht mal für die, die sich sehr viel sorgen, für die, die sich in den Kommentaren von Tageszeitungen immer „ein Steuerzahler“ nennen.

Wir haben eine Anzahl von Flüchtlingen in unserem Land. Es handelt sich hier offenbar um Menschen. Sie brauchen Nahrung und Unterkunft. Also müssen wir sehen, dass wir ihnen das zukommen lassen. Da gibt es gar keine Diskussion, das ist das Allermindeste, das ist unterster Standard in Sachen Menschsein, Kultiviertheit, Höflichkeit und – das zählt ja auch für den einen oder anderen – Christlichkeit. Das ist vielleicht im Einzelfall gerade unpassend, vor meinem Fenster, das nervt vielleicht, vielleicht sind sie laut und ganz anders als wir, vielleicht haben sie während eines Krieges ein paar traumatische Erfahrungen gemacht und ihre Normen verloren oder gleich ganz andere gehabt, vielleicht gibt es sogar Ärger mit ihren ganzen fremden Problemen, ja. Es nützt nichts. Wir müssen es alles aushalten. Im Zweifel sogar für uns selbst. Weil so die Welt beschaffen sein muss, in der wir einmal leben wollen und in der wir selbst eines Tages vielleicht Anspruch auf die Verbindlichkeit genau jener Normen und Werte erheben werden müssen.

Für die Empathie empfehle ich ein Bilderbuch von Shaun Tan: „Ein neues Land“ („Arrival“), in Deutschland im Carlsen-Verlag erschienen.

Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg, ihr jüngstes Buch, „Eheroman“, erschien 2012. Ihr Interesse gilt dem Fremden im Eigenen.

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