KURZKRITIK: HENNING BLEYL üBER DAS MUSIKFEST: 40-stimmige Potenz
Stolz reckt Hervé Niquet seinen Daumen nach oben und dem Publikum entgegen. Eben hat er die Mitarbeiterin des Bremer Musikfestes mit nicht enden wollenden Wangenküssen überrumpelt. Daumen und beifallheischender Blick ins Publikum sagen: Bin ich nicht ein toller Hengst?
Die junge Frau sollte ihm eigentlich nur Blumen überreichen – wie das so üblich ist nach klassischen Konzerten, wie der eben glorios im Verdener Dom aufgeführten „Missa sopra Ecco si beato giorno“ von Alessandro Striggio. Doch, so unangemessen und unsympathisch man die angeberische Geste des französischen Dirigenten auch finden mag – sie passt perfekt zum eben verklungenen Monumentalwerk. Denn dessen Entstehung ist ohne den omnipotenten Potenztaumel eines frühbarocken Fürsten mit absolutistischem Führungsanspruch nicht denkbar.
Fünf Chöre zu jeweils acht auskomponierten Stimmen sangen bei der Uraufführung der gigantomanischen Messe unter der gewaltigen Kuppel des Florentiner Doms – formal zu Ehren des Stadtheiligen, faktisch zu der noch wichtigeren des Medici-Großherzogs Cosimo I. In Verden sang Niquets Chor „Concert Spirituel“ – mitreißend, majestätisch, polyphon verwoben, zu vielfältigen Nuancen im Klangstrom fähig. Schade nur, das Niquet nicht zwischen Musik und dem sonstigen Leben unterscheiden kann.
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