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berliner szenen Automatengeschäfte

Der Flaschentauscher

Ich stehe mit zwei Reisetaschen, die jeweils etwa dreihundert Bierflaschen enthalten, vor dem Flascheneinwurfautomaten im Spar-Markt. Ich kaufe hier so gut wie nie ein, aber das Gerät nimmt einfach jedes Flaschenformat an, was dem Laden alle Jubeljahre eine ungeheure Attraktivität verleiht.

Vor mir hat sich ein mittelalter Mann in violetter Lederjacke aufgebaut, in der Hand einen Stoffbeutel, auf dem ein Frosch und eine Schildkröte Werbung für umweltgerechtes Einkaufen machen. Er nimmt eine Flasche nach der anderen aus dem Beutel und schiebt sie in den Automaten, sehr langsam, sehr konzentriert. Seine Stirn liegt in tiefen Falten. In meiner Hand knarren die Kunstledergriffe der Taschen und die Flaschen darin klimpern nervös. Kurz bevor ich sie abstellen will, ist er fertig, und erwartungsvoll mache ich einen Schritt auf ihn zu. Anstatt aber den Bon zu nehmen, den der Automat ausgeworfen hat, bleibt er stehen und wartet. Nach kurzer Zeit, als meine Hände vom Gewicht zu zittern beginnen und die Flaschen lauter klirren, frage ich ihn: „Sind Sie nicht fertig?“ Er blickt irritiert zu mir rüber: „Ich will aber neue haben.“ Bevor ich ihm antworten kann, kommt ein Mitarbeiter aus der Tür hinter dem Automaten, übersieht mit einem Blick die Lage und brüllt: „Du schon wieder! Bier am Eingang!“

Dann verschwindet er. Der Mann mit der Lederjacke macht eine Art Knicks, bedankt sich unterwürfig bei der Tür und schlurft in Richtung Sternburg-Regal. Endlich kann ich meine Taschen absetzen und ihren Inhalt in den Automaten schieben. Die Zeit, die das braucht, benötige ich, um die ganze bizarre Situation zu verarbeiten. Ich habe den Laden wohl unterschätzt.

HANNES BAJOHR

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