KURZKRITIK: HENNING BLEYL ÜBER NIMMERSATTES THEATER: Die Raupe als Rampensau
Wie kann aus der „Raupe Nimmersatt“ ein fast einstündiges Theaterstück entstehen? Eric Carles Kinderbuch ist zwar der Vorlese-Klassiker schlechthin, seit Jahrzehnten Erstbuch und Einstieg in die weite Welt der Literatur für viele, von Ein- bis heute 40-Jährigen. Nichtsdestoweniger ist der Plot überschaubar: Die Raupe schlüpft, frisst und verwandelt sich. Ende, flatter, aus.
Das Theatrium zeigt in seiner jüngsten Inszenierung, wie viel Theater in dieser Metamorphose steckt. Und welch Ausstattungslust hier ausgelebt werden kann! Rainer Schicktanz hat eine wunderbare Bühne voller liebevoller Details gebaut, auf der sich die Raupe als „Running Hunger“ durch diverse Leckereien knabbert – während das Personal um sie herum mit allerlei eigenen Problemen kämpft. Die Babysitterin, die die Geschichte erzählt, muss mit der ständig anrufenden Mutter klarkommen, dem unruhigen Schlaf von Alexander-Carl-Johannes (oder hieß das wohlsituierte Kind Valentin-Johannes-Rufus?), nicht zuletzt auch mit ihrem eigenen Appetit.
Schicktanz, auch Regisseur der Produktion, schafft es, sogar ein wenig Autoritätskritik einzufügen: Der Polizist, der Großmutters Garten vor der räuberischen Raupe schützen soll, entpuppt sich als gedrillter Gipskopf: Nicht mal die Fresslöcher, die bekanntlich jeden Tag eins mehr werden, zählt er vor lauter „links, zwo, drei, vier“ richtig. Und das können doch sogar viele der Dreijährigen, für die das Stück geschrieben ist – die sich entsprechend scheckig lachen.
Das gleichermaßen vorhandene Amüsement der Eltern verweist darauf, wie präzise Jeannette Luft in ihrer Multirolle als Schau- und Figurenspielerin agiert. Nur die finale Rührung beim Entfalten der Schmetterlingsflügel – das ist ein genuin elterliches Sentiment. Und ein Beweis für das Potential an poetischer Power, das Puppentheater zu eigen sein kann.
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