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Besser streiten

Wie eine Analyse des islamistischen und antizionistischen Antisemitismus zur kruden Israelfeindschaft verkehrt wird. Eine Antwort auf Micha Brumlik

Vorschlag zur Güte:Die Deutsche Forschungsgemeinschaft soll in diesem Streit der Schiedsrichter sein

VON KLAUS HOLZ

Unter Antisemitismusforschern ist in den letzten Monaten ein heftiger Streit ausgebrochen. In diesem geht es im Kern um zwei Probleme. Zum einen wird die Einhaltung wissenschaftlicher Mindeststandards eingefordert, zum anderen wird der inflationäre Gebrauch des Antisemitismusvorwurfes kritisiert. Anlass der Auseinandersetzung ist die Dissertation von Lars Rensmann, die u. a. ich in beiden Hinsichten scharf kritisiere. Nun hat Micha Brumlik in der taz vom 18. 3. diesen Streit durch eine unqualifizierte Stellungnahme eskaliert.

Mit Rensmanns Dissertation hält eine Praxis in der Antisemitismusforschung Einzug, die in der Linken seit Jahren Schaden anrichtet. Im Zuge des nach 1989 gestärkten Nationalismus und Antisemitismus hat sich aus der Linken heraus eine Gruppierung entwickelt, die den Antisemitismusvorwurf instrumentalisiert. Diese so genannten Antideutschen erklären sich die ganze Welt aus einem einzigen Axiom. Sie sind deshalb zum Beispiel für die Bush-Regierung, halten jede Kritik der israelischen Besatzungspolitik für antisemitisch und feiern den Irakkrieg als Feldzug gegen die islamistische Judenfeindschaft. Sie bieten eine einfache Weltsicht, die nicht zur Kritik, sondern zur Identifikation einlädt.

Rensmann nun beschuldigt in seiner Dissertation von Hans Mommsen über Götz Aly, Enzo Traverso und Uffa Jenssen bis zu mir diverse Wissenschaftler, wir würden antisemitische Vorurteile produzieren oder gar antisemitische „Kampagnen“ initiieren. In Brumliks taz-Artikel wird das völlig verharmlosend dargestellt, obwohl Brumlik zu Recht feststellt, dass der Vorwurf des Antisemitismus „eine der schlimmsten Beleidigungen“ ist, die man jemandem zufügen kann. Daraus muss die Konsequenz gezogen werden, dass, wer immer diesen Vorwurf erhebt, solide Belege beizubringen hat. Genau dies tut Rensmann nicht.

So behauptet Rensmann zum Beispiel, eine politische Streitschrift, die Elfriede Müller, Enzo Traverso und ich zur Hochzeit der zweiten Intifada 2002 gegen die Ideologie so genannter Antideutscher veröffentlichten, besage: „Schuld sind einzig die Juden, und zwar auch an der Ermordung ihrer Kinder.“ Außerdem hätten wir geschrieben, dass „die Juden … die Unterdrücker von heute“ seien. Die Auslassung im Zitat ist von Rensmann, der gerne Satzfragmente als Belege angibt, als würde es sich um einfachste Sachverhalte handeln. Tatsächlich haben wir geschrieben: „Gegen Deutschland, gegen den Antisemitismus zu sein, bedeutet, so der Kurzschluss, die Juden nur als Opfer des Antisemitismus wahrzunehmen. Damit werden die Palästinenser zum Sündenbock einer linksdeutschen Trauerarbeit, die nicht auf Reflexion, sondern auf Identifikation abzielt. Die Rechte der Palästinenser werden für diese eigenwillige deutsche Vergangenheitsbewältigung geopfert. In diesem verworrenen Rollenspiel sind die Juden nur noch eine metonymische Figur, in der die Ermordeten von gestern die Unterdrücker von heute überlagern. Dass beides wahr ist, ohne dass das eine das andere erklärt oder gar legitimiert, dass es gegenwärtig Opfer des Antisemitismus und von Juden zu verantwortendes Leid gibt, passt nicht in dieses Bild.“

Für weitere Beispiele, wie Rensmann den Vorwurf des Antisemitismus belegt, verweise ich auf meine Besprechung, die auf dem fachwissenschaftlichen Internetportal HSozKult eingesehen werden kann und die im nächsten Heft der Sozialwissenschaftlichen Literraturrundschau gedruckt erscheinen wird. Dort lege ich auch meine wissenschaftlichen Einwände im Einzelnen dar. Nur ein Beispiel: In meiner Habilitationsschrift „Nationaler Antisemitismus“ zeige ich, dass der moderne Antisemitismus in diversen Spielarten und unterschiedlichen Ländern mit einem spezifisch ethnischen Nationalismus verbunden ist. Genau dies darf politisch nicht sein, da Rensmann wie einige Antideutsche alle Betonung auf den deutschen (ethnischen) Nationalismus legt. Darüber mag man trefflich streiten können und es würde die Antisemitismusforschung sehr befördern, wenn der Zusammenhang von Nationalismus und Antisemitismus ins Zentrum der Forschung gerückt werden würde. Aber Rensmann kritisiert meine Auffassung nicht, sondern behauptet einfach, dass ich die „bedeutenden Unterschiede von Ethnos und Demos [im] verallgemeinerten Verständnis von einem ‚nationalen Antisemitismus‘ schlicht verleugnet“ habe. Tatsächlich ist die Unterscheidung zwischen Demos und Ethnos, die ich theoretisch und empirisch ausführlich rekonstruiere, ein zentraler Aspekt meiner Ergebnisse, was man anhand des Sachregisters leicht überprüfen kann.

Dennoch nennt Brumlik Rensmanns Werk „präzise“. Gründe nennt er nicht. Auf die strittigen wissenschaftlichen Themen geht er erst gar nicht ein. Das erleichtert es Brumlik, Grund und Folge zu verkehren und nicht Rensmanns Arbeit, sondern meine Kritik zu einem „Rufmord“ zu erklären. Unerwähnt bleibt auch, dass Rensmanns Dissertation inzwischen mit geschwärzten Stellen in Bibliotheken steht, weil ein anderer Autor, den Rensmann zitiert, seinem Anwalt die Kritik überließ.

Brumlik übergeht aber diese Umstände. Bislang gab es Pro und Contra auf dem Internetportal HSozKult. Brumlik dagegen erweckt den Eindruck, es sei völlig einseitig zugegangen. Tatsächlich aber haben sich der Kritisierte wie seine Unterstützer ausführlich auf HSozKult geäußert. Schon zuvor war dort eine unkritische Besprechung von Rensmanns Arbeit erschienen. Beide Seiten haben es zuweilen an Nüchternheit mangeln lassen. Auch mein Beitrag ist nicht frei von harten Formulierungen. Brumliks Artikel aber übersteigt weit das bisherige Maß an Unsachlichkeit.

Auch an der Debatte auf HSozKult ist auffällig, dass keiner der Verteidiger Rensmanns versucht, auch nur einen meiner fachlichen Einwände zu falsifizieren. Sie verfahren – wie Brumlik – nach der Methode: Warum sachlich, wenn’s auch persönlich geht? Man versucht, den Kritiker zu beschädigen, und ignoriert den Inhalt der Kritik. Dabei habe ich offensichtlich nicht einen verleumderischen Artikel, sondern eine sehr kritische Besprechung vorgelegt. Auch Brumlik nennt kein einziges Gegenargument. Ich ziehe daraus den Schluss, dass meine Kritik begründet ist, folglich die Dissertation von Rensmann erhebliche wissenschaftliche Mängel hat, die man zu kaschieren trachtet.

Statt zu argumentieren, übernimmt Brumlik den politischen Anwurf Rensmanns gegen mich, ohne jeden haltbaren Beleg. Laut Brumlik sei es „seit mehreren Jahren“ meine These, dass „die israelische Besatzungspolitik für den genozidalen Hass auf den israelischen Staat verantwortlich sei“. Als Beleg nennt Brumlik unter anderem meinen letzten Artikel in der Zeit vom 2. Februar 2006. Die Zeit veröffentlicht also derlei Thesen? Oder der Verlag Hamburger Edition, in dem mein letztes Buch über „Die Gegenwart des Antisemitismus. Islamistische, demokratische und antizionistische Judenfeindschaft“ erschien und das nicht nur in der taz positiv besprochen wurde? Brumlik verkehrt meine Analyse des islamistischen und antizionistischen Antisemitismus zu einer kruden Israelfeindschaft. Das hat weder mit Wissenschaft noch mit Streitkultur zu tun.

Bislang war mit solchen Verkehrungen nur von einem Netzwerk antideutscher Ideologen auf drittrangigen Internetportalen zu rechnen. Deren Strategie ist Verleumdung. Erstaunlicherweise ließ sich Brumlik 2004 als Sachverständiger im Deutschen Bundestag von einem besonders kruden Antideutschen vertreten. Von irgendwelchen wissenschaftlichen Arbeiten, die diesen zu einem Repräsentanten der Antisemitismusforschung qualifizierten, ist nichts bekannt. Warum Brumlik sich mit einer solchen wissenschaftspolitischen Farce daran beteiligt, die Antisemitismusforschung zu desavouieren, muss er erklären. Nun steht Micha Brumliks guter Name zur freien Verfügung, um Denunziationen zu legitimieren. Hierzu gehört Brumliks Versuch in der taz, meinen Arbeitgeber, das Evangelische Studienwerk Villigst, gegen mich aufzubringen. Anderer Leute Arbeitsplatz in Frage zu stellen, überschreitet das akzeptable Maß an Polemik im kollegialen Streit.

Der Antisemitismusforschung dient all das nicht. Sollten Brumlik und Rensmann ein Interesse daran haben, den Streit wissenschaftlich zu klären, bin ich dazu gerne bereit. Ich schlage vor: Wir akzeptieren die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) erarbeiteten und allen Universitäten zur Übernahme empfohlenen Richtlinien „Selbstkontrolle in der Wissenschaft“ und bitten auf dieser Basis die DFG oder den Ombudsmann einer Universität um eine Evaluation der Dissertation Rensmanns, meiner Rezension und der taz-Artikel von Brumlik und mir. Ich akzeptiere das Ergebnis vorab.

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