: Zu nah am Wasser gebaut
Die Elbe schwillt auf neue Höchststände an. Die Marken des Jahrhunderthochwassers von 2002 wurden in Lauenburg und Hitzacker bereits übertroffen. Scheitelwelle erreicht am Dienstag Hamburg. Für die Hansestadt aber besteht keine Gefahr
Von Sven-Michael Veit
Die letzte offizielle Zahl lautet 7,48 Meter. Bei dieser Marke wurde am frühen Nachmittag im überfluteten Hitzacker der Strom und somit die Pegelmessung abgeschaltet. Da fehlten noch zwei Zentimeter bis zur neuen Rekordmarke. 7,50 Meter hoch stand der Strom im August 2002 in der historischen Altstadt. Heute Mittag, sagen die Experten voraus, werden es noch 20 oder auch 30 Zentimeter mehr sein.
Fast so viel wie in Lauenburg. In der südöstlichsten Stadt Schleswig-Holsteins wurde gestern bereits die Neun-Meter-Marke übertroffen, auch hier ist die Tendenz steigend. Hitzacker liegt auf dem Südufer, in Niedersachsen, auf einer kleinen Insel zwischen der Elbe und dem gemeinhin unscheinbaren Nebenflüsschen Jeetzel. Jetzt liegt die Stadt in einer Seenplatte (Text unten). Lauenburg liegt auf dem Nordufer am Geesthang. Nur wenige Uferstraßen stehen bislang unter Wasser, der vor vier Jahren erhöhte Deich hält die Innenstadt mit ihren Fachwerkhäusern trocken.
Bislang. „Es wird in Zentimeterschritten weitersteigen“, befürchtet Bettina Kalytta vom Wasser- und Schifffahrtsamt (WSA) Lauenburg. „Wie hoch, können wir noch nicht sagen.“ Die WSA-Chefin ist vorsichtig geworden. Weder die Höhe der Flutwelle hatte ihr Amt vorhergesagt noch ihr frühes Eintreffen. Acht Meter am Wochenende, lautete noch am Mittwoch die Vorhersage. Der Fluss hat alle Fachleute mal wieder überrascht.
Nahezu sämtliche Rekordmarken der so genannten Jahrhundertflut vom August 2002 hat Deutschlands zweitgrößter Strom bereits übertroffen. Und er schwillt weiter an. Die Wetterprognosen für die nächsten Tage sagen Regenfälle voraus, der Höchststand wird nun für Sonntag erwartet. Und er wird „mehrere Tage bis eine Woche andauern“, befürchtet Wolfgang Piepenburg vom Landesbetrieb für Wasserwirtschaft und Küstenschutz in Lüneburg. Denn stetiger Westwind ist vorgesagt, und der hält den Fluss zurück.
Die Landkreise Lüchow-Dannenberg und Lüneburg lösten gestern Mittag Katastrophenalarm aus. Das ist die Voraussetzung für den Einsatz der Bundeswehr, deren Pioniere und Hubschrauberstaffeln nun bei der Befestigung der Deiche helfen dürfen. Außerdem können die Behörden Bewohner zum Verlassen ihrer Häuser zwingen oder Bürger als Helfer zwangsverpflichten. Bislang wurden gefährdete Stellen mit fast 300.000 Sandsäcken befestigt. Allein Niedersachsen will jetzt weitere 800.000 Säcke in die betroffenen Gebiete schaffen lassen, um das Aufweichen und Brechen der Deiche zu verhindern.
Hamburg hingegen wird wohl wie schon 2002 von dem Hochwasser unbehelligt bleiben. Wenn die Scheitelwelle der Flut vermutlich am Dienstag die Hansestadt erreiche, werde kaum ein erhöhter Pegelstand erkennbar sein, sagte gestern der Leiter der Hamburger Deichaufsicht, Klaus Kluge: „Der Hafen ist so groß, dass er diese Wassermassen auffangen kann.“
Durch Sturm- oder Springflut ausgelöstes Hochwasser sei für Hamburg bedrohlicher, weil dadurch ein Rückfluss enormer Mengen Meerwasser in die Elbe entstehe. Kluge rechnet in der Hansestadt mit „einem rund 50 Zentimeter höheren Wasserstand“ im Vergleich zum üblichen Pegel. Der Tidenhub in Hamburg, also der Unterschied zwischen dem Wasserstand bei Ebbe und Flut, beträgt gewöhnlich mehr als drei Meter.
Die Flutwelle auf der Oberelbe wirkt sich nur bis Geesthacht etwa 25 Kilometer östlich von Hamburg aus. Dort reguliert ein Wehr quer über den Fluss den Wasserstand. Im Unterlauf der Elbe aber regiert die Nordsee. Und die bleibt bislang ruhig.
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