: Versuchsanordnung: Striche machen
Aus- und Abschweifungen nicht abgeneigt: Hilka Nordhausen knüpfte Knoten zwischen Künsten und Künstlern, zeichnete, leitete einen Buchladen in Hamburg und vieles mehr. Erinnerung anlässlich einer Ausstellung
In der neu eröffneten Galerie Dörrie & Priess in der Yorckstraße 89a werden gerade die Bleistift-Strichzeichnungen von Hilka Nordhausen ausgestellt. „Die Künstlerin (geb. 1949) war eine der wichtigen Persönlichkeiten des Hamburger Kunst- und Kulturbetriebs der 70er- und 80er-Jahre“, heißt es über sie im Internet, wobei sie sich damals selbst eher als „daneben“ begriffen hätte. Die Strichübungen dienten der Aus- und Abschweifungen nicht abgeneigten Hilka Nordhausen eine Zeit lang zur künstlerischen Selbstdisziplinierung. Sie bilden somit eine Art Kontrastprogramm zu ihren sonstigen Lebensäußerungen, etwa dem Perry-Rhodan-Hefte studieren, Tageszeitungsseiten übermalen und Dias sammeln. In Berlin war sie in dieser Hinsicht meine einzige Konkurrentin bei den Trödlern – bis wir uns zusammentaten und die brauchbarsten Dias untereinander austauschten.
Bei den „Untersuchungen zum Zeichenvorgang“, so der Ausstellungstitel, ging es ihr unter anderem darum: Wie viel kleine Striche kann man in zehn, zwanzig, dreißig usw. Minuten auf einem A3-Blatt schaffen? Oder umgekehrt, mit einem Metronom – wie lange hält man das Strichemachen durch? Wie sehen die Strichfiguren aus, die man bei unveränderter Körperposition stehend mit der Hand auf einem riesigen Blatt ausführt? Und wie sieht ein ganzer Bogen aus, wenn man ihn mit verbundenen Augen zustrichelt?
Die Ergebnisse wurden anschließend abfotografiert, ihre dabei zugrunde liegende Versuchsanordnung protokolliert – und das Ganze dann abgeheftet. So pedantisch konnte Nordhausen sein, auch wenn sie sonst eher lebensfroh verwuselt wirkte. Kurz vor ihrem Tod 1993 erschien noch im Verlag von Michael Kellner ihr Buch: „Glücklichsein für Doofe“.Vor zwei Jahren erinnerte ein Beitrag an sie in dem vom Kölner Verlag Walther König herausgegebenen Band: „Kurze Karrieren“.
Die letzten Jahre wohnte die an Krebs erkrankte Nordhausen am Kottbusser Tor in Kreuzberg. Acht Jahre nach ihrem Tod widmete die Hamburger Kunsthalle der Künstlerin, Galeristin, Schauspielerin und Buchautorin 2001 eine umfangreiche Retrospektive. „Montags Realität herstellen“ hieß sie – sehr passend. Schon 1998 hatten ihre Hamburger Freunde in einem dicken Bildband mit dem ebenfalls passenden Titel „dagegen-dabei“ das riesige Künstlernetz nachgezeichnet, das Nordhausen zwischen 1969 und 1989 knüpfte – vor allem mit ihrer „Buch Handlung Welt“ im Hamburger Karolinenviertel und seinem Förderverein „weltbekannt e.V.“
Es waren zumeist die von der Punkbewegung noch einmal flankierten Künstler – von der Tödlichen Doris und Heinz Emigholz über Dieter Roth und Allen Ginsberg bis zu Helmut Salzinger und Pola Reuth –, die in ihrem Laden Filme und Performances zeigten, Vorträge hielten, Gedichte lallten oder eine Wand bemalten, die nach einigen Wochen vom nächsten übermalt wurde.
Etliche solcher „Knoten“ standen damals miteinander in Kontakt, weil sie an ähnlicher Kunst interessiert waren. In Berlin die Galerie Zwinger, wo Wolfgang Müller und Ueli Etter ausstellten, sowie das Tonstudio von Frieder Butzmann und der Merve-Verlag, in Frankfurt die Zeitungen von Indulis Bilzenz und Walther Baumann, in Heidelberg die Turmgalerie von Sharon Levinson und die Buchhandlung von Jörg Burkhard. Dazwischen turnten sich die eher nomadischen Künstler frei.
Nun sind auch schon eine ganze Reihe der ihr lieb und wichtig gewesenen Kunden und Künstlerkollegen tot (Martin Kippenberger) oder liegen im Koma (wie Walther Baumann), noch mehr sind verschollen (was machen zum Beispiel Mike Hentz und Minus Delta T oder Boris Nieslony?). Andere sind in der Tat nicht mehr dagegen, sondern dabei, weltbekannt zu werden – wie der Bremer Maler Norbert Schwontkowski und der Neuköllner Kunstprofessor Thomas Kapielski.
Daneben sind aber auch neue Verbindungen entstanden: Hilka Nordhausens früherer Mitarbeiter Michael Kellner hat sich mit ihrem einstigen Verleger Peter Engstler, der ihr Buch „Melonen für Bagdad“ herausbrachte, zusammengetan, um bei ihm in der Rhön Lesungen auf einer nahen Jungviehweide mit zu organisieren, wo sich die Überlebenden und Mobilen alle zwei Jahre treffen. An Buchläden und Verlagen sind b-books und der Basisdruck-Verlag in Berlin dazu gekommen und an Galerien gleich mehrere – bis weit in den Osten. Dazu gehört jetzt auch die von Dörrie & Priess. Die beiden haben bereits eine Galerie in Hamburg, und sie vertreten den Nachlass von Hilka Nordhausen schon lange – zusammen mit ihrer Archivverwalterin Bettina Sefkow, die den Bildband „dagegen-dabei“ mit herausgab. So kommen nach und nach nun alle Ansätze der schon früh als Netzwerkerin in Erscheinung getretenen Hilka Nordhausen noch einmal vors Publikum.
HELMUT HÖGE
Bis 27. Mai, Mi. bis Fr. 14.30–18.30, Sa. 12–16 Uhr und nach Vereinbarung, Galerie Dörrie & Priess, Yorckstraße 89a, Tel. 78 89 55 33
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