: So klappt’s auch …
… mit dem Namen merken
VON LISA ROKAHR (TEXT) & ELÉONORE ROEDEL (ILLU)
Guten Tag Frau Rokahr!“ „Guten Tag Herr, äh …“
Hmm ...wer ist das doch gleich? Sein Name beginnt mit „G“, oder war es „W“? Und während ich noch darüber grüble, wer die Person sein könnte, mit der ich mich gerade unterhalte, ist der Zeitpunkt, in dem man genau das noch fragen kann, längst verstrichen. Namen vergessen empfinde ich als Schande, und trotzdem passiert es mir immer wieder. In meinem Kopf ist ein schwarzes Loch, das alle Namen aufsaugt, selbst, wenn ihn mir jemand zwei Minuten vorher erst genannt hat.
Bei Dale Carnegie habe ich mal gelesen, wer im Gespräch den Namen seines Gegenübers nennt, vermittelt ihm ein gutes Gefühl, ein diskretes Kompliment. Schade, kann ich nicht. Und auch „Namedropping“, die Kunst der Wichtigtuer, fällt aus. Selbst in mein Allgemeinwissen reißt diese Unkenntnis einen Krater. Wie hieß der Arbeitsminister? Der Entwicklungsminister? Kabinett-Katastrophe. Und jetzt, nach der Bundestagswahl, steht sie wieder an. Fünfzehn neue Namen, die ich mir merken muss.
Dabei klappt das bei anderen mit dem Namen merken doch auch. Lehrer zum Beispiel müssen sich jedes Jahr zig Vornamen merken. Mein Deutschlehrer erzählte mal, so einhundertzwanzig seien es bestimmt. Er heißt Gerland, Herr Gerland. Mit Vornamen Dieter, das weiß ich zwar, darf ich sogar sagen, vergesse es aber meistens, weil jahrelang sein Vorname für mich als Schülerin „Herr“ war, nicht Dieter. Herr Gerland unterrichtet seit fünfunddreißig Jahren, das müsste bedeuten, dass er sich an über viertausend Namen erinnert. Darum frage ich bei ihm nach.
„Lisa“, sagt er, „da macht es gleich Klack, ich erinnere mich an dich. Du hast hinten links gesessen, deine Hausaufgabe zu Wedekinds ‚Frühlings Erwachen‘ vorgelesen, gute Arbeit.“ Merkt er sich alle Namen durch kleine Anekdoten? „Ja, ich überlege mir zu jedem Menschen eine Assoziation“, sagt er. Wie er jemanden kennengelernt hat, ob sich der Name auf etwas reimt, ob er Tratsch über denjenigen gehört hat, ihm vielleicht mal etwas Lustiges passiert ist. „Wenn ein Schüler vom Stuhl fällt, dann vergesse ich seinen Namen nie mehr.“
In der Politik fallen Menschen auch. Nicht von Stühlen, aber tief. Jetzt, da die CDU so gute Ergebnisse eingefahren hat, könnte das schwierig werden mit dem Einprägen des neuen Kabinetts. Schließlich musste ich mir schon in der vergangenen Amtszeit manche Posten gleich doppelt merken. Einige Minister gingen schneller, als ich ihren Namen vergessen konnte: Der Namen von Arbeitsminister Franz Josef Jung war bereits wenige Wochen nach dem Regierungswechsel hinfällig. Gefolgt von Karl-Theodor zu Guttenberg, bei dem ich mir zum Glück nicht alle zehn Vornamen gemerkt habe. Und Röttgen, Schawan; gleich vier CDU-Minister mussten gehen, a. D.
Einige Namen in der CDU kann ich mir hingegen gut merken: Von der Leyen, das klingt fast wie „von der Leine“, was passt, da die Ministerin aus Hannover kommt. Oder Thomas de Maizière, ein Name, der unweigerlich mit dem Unwort „Drohnen-Desaster“ verknüpft ist, was wiederum so eine richtige Misere ist.
Herr Gerland hat noch mehr Ratschläge, zum Beispiel: den Namen laut auszusprechen. In der Schule geht er die Namen neuer Schüler der Reihe nach durch. Jeder Schüler erzählt etwas über sich, dann wiederholt der Lehrer den Namen und die derer, die vorher schon an der Reihe waren. Bei einem Fehler fängt er von vorne an.
Aber selbst ihm müssen doch mal Fehler passieren. Ja, doch, gibt er zu. In einem Kurs hat er lauter blonde Mädchen, alle Namen mit gleichem Klang: Tina, Sina, Nina. „Äh ja, und da habe ich mal zwei Noten verwechselt“, gesteht er. Hat er im Nachhinein korrigiert. Natürlich.
Damit das nicht häufiger passiert, hat er einen weiteren Tipp: Namen aufschreiben. Er sucht an seinem Schreibtisch nach einem roten Büchlein, schaut auf den Umschlag, 2003 steht da. „Hatte ich dich damals im Unterricht?“, fragt er. Hatte er. Er blättert, liest laut vor: „Klasse 10bil 1, Erörterung Andorra.“ Darunter alle Namen der Klasse, Noten, Notizen, Anmerkungen. „Jetzt sind alle Gesichter wieder da: Kathrin, die Stille, Lara mit dem hübschen Bruder, Si, die Chinesin.“
Es gibt aber noch mehr Hilfen: „Einige Kollegen machen Fotos von den Schülern und lernen die dann zu Hause. Den Schulleiter habe ich dabei erwischt, wie er sich bei der Verabschiedung der Abiturienten alle Namen soufflieren ließ.“
Und auch ich habe schon eine kleine Hilfe für den Berufsalltag gefunden. Allerdings setze ich dabei nicht auf Hausaufgaben, sondern eher auf einen Spickzettel. Vor meinem nächsten Termin suchte ich zu jedem Namen, der auf der Pressemitteilung stand, ein Foto. Alles Politiker, einige in Positionen, in denen die Frage nach dem Namen direkt als Beleidigung empfunden wird. Und während ich also eine Stunde später diskret auf den Spicker schielte, schlich sich Patrick Döring an. (Ja, das geht.) Der FDPler lunzte ebenfalls auf’s Blatt, erkannte den Sinn und sagte: „Das ist ja praktisch. Wissen Sie, ich lerne so viele Leute kennen, da fällt es mir schwer, alle Namen zu behalten, diesen Tipp muss ich mir merken.“ Ganz volksnah, Bürger und Politiker vor dem gleichen Problem, fühlt sich an wie Demokratie. Da ist es fast schade, dass ich mir von der FDP in den nächsten vier Jahren keinen Namen merken muss.
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