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Die Proteste in Nepal weiten sich aus

Nach fast zwei Wochen Generalstreik schlittert das Land in eine Wirtschaftskrise. Die ersten Waren werden knapp, es kommt zu Hamsterkäufen. Die Opposition ruft zum Stopp der Steuerzahlungen auf und kündigt eine neue Demonstration an

AUS DELHI BERNARD IMHASLY

Die Streiks und Proteste in Nepal weiten sich aus. Die Ankündigung von Wahlen durch König Gyanendra – ohne Zeitplan und konkrete Schrittabfolge – hat die Oppositionsbewegung eher beschleunigt, statt zu bremsen. Am Sonntag kam es erstmals auch in kleineren Städten im Süden des Landes zu Demonstrationen. Einige Orte wurden gar zu „befreiten Zonen“ erklärt, weil Polizei und Armee dort nichts gegen die Protestierenden unternehmen.

Mit dem am 6. April begonnenen Streik will die Opposition die Alleinherrschaft des Königs beenden und die Wiedereinsetzung demokratischer Institutionen erzwingen. Gyanendra hatte im Mai 2002 das Parlament aufgelöst und im Februar 2005 auch die Regierung entlassen.

In den vergangenen Tagen forderten immer mehr Berufsgruppen den König zur Abdankung und zum Verlassen des Landes auf. Dazu gehören neben Anwälten und Journalisten inzwischen auch Teile des Klerus, Ingenieure, Entwicklungshelfer und Vertreter der Tourismusindustrie. Auch in der staatlichen Bürokratie beginnt die Loyalität mit dem Herrscher zu bröckeln. Die Telefonbeamten protestieren gegen die häufigen Befehle, Leitungen zu unterbrechen, und in Birganj, dem Hauptumschlagsplatz für Güter aus Indien, traten die Zollbeamten in den Streik. Aus der Stadt Nepalganj sollen Angehörige von Sicherheitskräften auf die Straße gegangen sein; sie appellierten an ihre Männer und Väter, keine Gewalt gegen die Zivilbevölkerung anzuwenden.

Es ist jedoch die wirtschaftliche Lage, die zur schärfsten Waffe der königsfeindlichen Bewegung werden könnte. Nach zwölf Tagen, in denen das Leben im ganzen Land zum Stillstand kam, machen sich die ersten Zeichen von Knappheit bemerkbar. In der Hauptstadt Kathmandu kam es zu Hamsterkäufen, die Preise steigen rasch in die Höhe.

Die meisten Fabrikbetriebe sind seit dem ersten Tag des Generalstreiks geschlossen, ebenso Dienstleistungsbetriebe wie Banken, Post, Tankstellen und öffentliche Verkehrsmittel. In Krankenhäusern wurde damit begonnen, nur noch Notfälle zu behandeln. An den verschiedenen Grenzübergängen aus Indien warten hunderte von Lastwagen, darunter solche mit Kerosin und anderen Treibstoffen. Nepal ist mit Ausnahme der Grundnahrungsmittel fast ausschließlich auf indische Einfuhren angewiesen. Dies erinnert an die Situation vor sechzehn Jahren, als ein indischer Warenboykott die Unzufriedenheit mit der absoluten Monarchie in eine offene Revolte verwandelt hatte.

Die oppositionelle „Sieben-Parteien-Allianz“ macht sich dies zunutze. Ein Sprecher forderte am Sonntagabend die Bevölkerung auf, keine Steuern mehr zu zahlen, ebenso wenig wie die Gebühren für Wasser, Strom und Telefon. Er appellierte an das Ausland, die Entwicklungshilfezahlungen einzustellen, sowie an nepalische Arbeiter im Ausland, keine Gelder mehr ins Land zu transferieren.

Das Regime reagiert zunehmend nervös auf diese Entwicklungen. Der Innenminister ließ durchblicken, dass der Notstand ausgerufen werden könnte. Dies würde die Lage allerdings wenig an der Lage ändern, da der Staat kaum über strategische Reserven verfügt. Die Armee ist zudem so stark in den Krieg gegen die Maoisten verwickelt, dass sie nicht fähig wäre, staatliche Dienste zu übernehmen.

Die wachsende Unruhe macht sich auch bei Armee und Polizei bemerkbar. Journalisten berichten über eine größere Härte beim Vorgehen gegen Demonstranten, die in vielen Teilen Kathmandus spontan auftauchen. Die Zahl der Verletzten soll auf 2.500 gestiegen sein, und im Kathandu-Tal soll es inzwischen eine Reihe provisorischer Gefangenenlager geben. Für Donnerstag hat die Parteien-Allianz eine weitere Großdemonstration in Kathmandu angekündigt.

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