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„Es gibt keine sicheren Zonen“

Dass jemand aus rein fremdenfeindlicher Motivation einen Menschen angreift, kann man nicht verhindern, sagt Ole Weidmann von der Organisation „Opferperspektive“

taz: Herr Weidmann, hat Sie der nächtliche Überfall auf einen Schwarzen in Potsdam überrascht?

Ole Weidmann: Es hat mich sicherlich überrascht, dass es in Potsdam einen solchen Angriff gegeben hat. Schließlich war es das erste Mal seit langem, dass jemand mit schwarzer Hautfarbe hier in der Stadt so brutal zusammengeschlagen worden ist. Allerdings hatte es in Potsdam auch in der Vergangenheit regelmäßig fremdenfeindlich motivierte Übergriffe gegeben – nur eben nicht mit diesen Folgen.

In den vergangenen Monaten konnte man den Eindruck bekommen, dass sich in Potsdam die gewalttätigen Übergriffe aus der rechtsextremen Szene vor allem gegen linke Jugendliche und Punks richteten.

Ich glaube, das war eine Fehlwahrnehmung. Die Gewalttaten gegen Personen aus der linksalternativen Szene standen sehr stark im Licht der Öffentlichkeit. Auch, weil einige dieser Angriffe von erheblicher Brutalität gekennzeichnet waren. Wenn man aber nur die Zahlen betrachtet, ist Potsdam im Vergleich zu anderen Regionen Brandenburgs nach unserer Einschätzung zuletzt sogar eine Hochburg rassistischer Übergriffe gewesen.

Was sagen diese Zahlen über die Sicherheitslage in der Stadt verglichen mit der Situation in anderen Städten des Landes?

Man muss vorsichtig mit solchen Statistiken rassistischer Übergriffe umgehen. Womöglich sind in anderen brandenburgischen Städten die Fallzahlen nur deshalb niedriger, weil die Übergriffe dort nicht einmal an die Öffentlichkeit dringen. Insbesondere kann man nicht allein von der Statistik auf die Situation in einer Stadt schließen. Man muss sich auch fragen: Wie sicher fühlen sich die Menschen dort? Wie ist ihr Lebensgefühl?

Und welchen Ruf hat hier Potsdam? Gilt die Stadt als besondere Angstzone unter Migranten?

Nein, im Gegenteil. Viele Migranten sagen uns: Wir möchten lieber in Potsdam leben als in anderen Regionen Brandenburgs. In Potsdam fühlen wir uns am sichersten.

Wie erklären Sie sich das?

Das subjektive Bedrohungsgefühl hängt eben von vielen Faktoren ab – von der Unterstützung, die Migranten erfahren, von Hilfsangeboten, Beratungsstellen, von den Möglichkeiten, sich zu treffen und sich zu organisieren. Und da fühlen sich viele Menschen hier offenbar aufgehobener als anderswo. Schließlich ist Potsdam eine Stadt, wo es sehr viele engagierte Leute gibt, wo sich auch die Stadtverwaltung sehr positiv einbringt, eine Stadt mit sehr viel Fantasie und Kreativität – so wie man sich das eigentlich nur wünschen kann.

Macht Sie das nicht umso verzweifelter, dass ausgerechnet in Potsdam dann solch ein grausames Verbrechen passiert?

Nein. Rassistische Gewalt ist unberechenbar. Es kommt immer wieder zu solchen Übergriffen – im ganzen Land, egal an welchem Ort und zu welcher Zeit. Das ist kein Potsdamer Spezifikum. Der Fall zeigt einfach: Es gibt keine sicheren Zonen in unserem Land. Dass jemand nachts auf der Straße aus rein fremdenfeindlicher Motivation einen Menschen so derartig angreift, das kann man nicht verhindern. INTERVIEW: ASTRID GEISLER

www.opferperspektive-potsdam.org

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