ICH HABE RESPEKT VOR DEM PROJEKT ROTE FLORA UND WILL KEIN SECHSSTÖCKIGES KULTURZENTRUM: Das Wildtier und das Mastschwein
KATRIN SEDDIG
Man kann einiges gegen die Rote Flora sagen. Man kann genervt davon sein, wie es auf der Fassade und in den Toiletten aussieht. Man kann den einzelnen Leuten Intoleranz vorwerfen. Man kann ihnen vielleicht Regierungsfeindlichkeit vorwerfen (Obwohl man das auch fast jedem kommentierenden Bild-Zeitungs-Leser vorwerfen könnte, egal wer gerade die Regierung bildet).
Man kann mit den Flora-Leuten nichts zu tun haben wollen, weil die Flora-Leute so eng sind, in ihren Urteilen, weil sie andere Leute schon aufgrund ihrer Perlenkette verurteilen, und weil sie sich in ewigen destruktiven Grabenkämpfen zermürben, anstatt mehr Toleranz zu üben, um sich besser um das Große zu kümmern. Aber.
Das 1888 erbaute „Gesellschafts-und Concerthaus Flora“ sieht schon lange nicht mehr so aus, wie es eigentlich erbaut wurde. Dass große Teile des historischen Gebäudes einfach abgerissen, dass zwei Stockwerke abgetragen und durch ein Flachdach ersetzt wurden, hat damals niemanden (jedenfalls nicht die Stadt) interessiert. Und wenn nicht 1989 die Flora von – ich behaupte mal – etwas verantwortungsbewussteren und engagierteren Leuten besetzt worden wäre, dann hätten wir seit diesem Jahre dort ein hübsches Musical-Theater gehabt, das künstlerisch wertvolle Melodien von Andrew Lloyd Webber an den Touristen gebracht hätte, der zu diesem Zwecke in Scharen schon Anfang der 90er-Jahre in die Schanze eingefallen wäre.
Seit ich in Hamburg wohne, war ich einige Male in der Roten Flora zu Konzerten. Wenn man das einmal war, wenn man da einmal drin war und wenn man da Bands gesehen hat, die man mochte, wenn man da sein gar nicht mal so teures Bier getrunken hat und gesehen hat, dass das alles ja irgendwie funktioniert, dass da was organisiert wird und dass da was stattfindet, das sich gut anfühlt, dann hat man eine Einstellung zur Roten Flora, die über eine Zeit hin immer mitschwingt, auch wenn man nicht immer mit allem einverstanden ist.
Man sehe sich das Programm an, das es jetzt immer noch gibt. Das von Leuten organisiert wird, denen das was wert ist. Die ihre Zeit investieren. Die sich anstrengen und sich streiten und Fehler machen und sich wieder streiten und die so etwas wie Idealismus haben. Die nicht von Kultursponsoring leben. Die nicht Projektgelder über die Kulturförderung kriegen. Die das aber trotzdem machen. Weil sie es wollen.
Es gibt Konzerte, es gibt Film- und Liederabende, es gibt eine Motorradwerkstatt, es gibt eine Fahrradselbsthilfewerkstatt, sonntags macht das FSK Radio, es gibt überhaupt Leute, die das Programm gestalten und die Website aktualisieren, die politische Diskussionen führen und eine Meinung zu Rassismus und Sexismus haben. Das ist im Ganzen so viel Gutes und ich bin selbst im Einzelnen so mangelhaft politisch aktiv, weil das so anstrengend und zeitraubend ist, dass ich Respekt habe vor dem Projekt Rote Flora.
Es gibt kaum noch Dinge, die man nicht kaufen kann, die Rote Flora gehört dazu. Dass das so ist, bisher und hoffentlich noch lange, liegt daran, dass hier eine Macht von Leuten ausgeht, die zwar kein Geld, aber einen Glauben an ihre Sache und ihr Recht haben.
Wie kann es denn, verflixt noch mal, sein, dass irgendein Kretschmer daherkommen und so etwas kaufen können soll? Jemand, der nie teilgenommen hat, der sich nie engagiert, der nie mitgemacht hat. Wann hat das denn überhaupt angefangen, dass man alles kaufen kann und wann hört das endlich auf?
Nach neuesten Plänen Kretschmers soll nun ein sechsstöckiges „Kulturzentrum“ aus der Flora werden. Ein sechsstöckiges Kulturzentrum mit Tiefgarage, Kita (???) und Konzertsaal. Wenn das gelänge, hieße das, ein Wildtier auszurotten, um ein Mastschwein halten zu können. Ich sag von hier aus schon mal – Nein! KATRIN SEDDIG Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg, ihr jüngstes Buch, „Eheroman“, erschien 2012. Ihr Interesse gilt dem Fremden im Eigenen
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