: „Die Kirche akzeptiert Scheidungen“
Heute vor 40 Jahren wurde die Familien- und Lebensberatung der Bremischen Evangelischen Kirche gegründet. Gudrun Steenken und Kerstin Bonse berichten über ihre Arbeit und „Ehehygiene-Kurse“, die sich in den 60ern im Schwimmbad trafen
Interview: Jessica Riccò
taz: Die Beratungsstelle begann ihre Arbeit 1966 ursprünglich als Anlaufstelle zur „Ehevorbereitung“? Was hat man sich darunter vorzustellen?
Gudrun Steenken, Leiterin der Beratungsstelle: Der Beratung war eine Telefonseelsorge vorausgegangen, an die sich größtenteils junge Frauen mit Partnerschafts- und Eheproblemen wandten. Nach einer Studie aus den 50er Jahren sah ein Großteil der damaligen Abiturientinnen keine Möglichkeit, Ehe und Beruf, geschweige denn Kinder und Beruf zu verknüpfen. In den Ehevorbereitungskursen konnten Männer und Frauen ihre unterschiedlichen Vorstellungen einer Ehe austauschen. Auch damals wurde bereits diskutiert, ob Ehe eine altmodische Institution sei. Außerdem gab es Kurse zur „Ehehygiene“, also Sexualberatung, das war damals ganz neu. Die fand passenderweise im Schwimmbad statt …
Kerstin Bonse, Schwangerschaftskonfliktberaterin: Eine andere Form der Ehevorbereitung war eine briefliche Partnervermittlung, bei der die Beratungsstelle die Post koordinierte und Kurse gab, wie solche Briefe zu schreiben sind.
Und mit welchen Problemen kommen die Leute zu Ihnen?
Steenken: Etwa drei Viertel der Paare, die zu uns kommen, sehen uns als letzte Chance, ihre Beziehung zu retten. Nicht selten ist ein Partner bereits ausgezogen. Anders als vor 40 Jahren gibt es kaum Druck, zusammenbleiben zu müssen, speziell wenn keine Kinder da sind. Wenn keine emotionale Basis mehr vorhanden ist, trennen sich die Paare. In Großstädten ist das annähernd jede zweite Ehe, bei nicht ehelichen Lebensgemeinschaften ist diese Quote viermal höher.
Um welche Konflikte geht es?
Steenken: Häufig können junge Paare nach der Geburt des ersten Kindes ihre Vorstellung einer partnerschaftlichen Teilung von Familien- und Erwerbsarbeit im wahren Leben nicht realisieren. Bonse: Zum Glück ist zu diesem Zeitpunkt eine effektive Beratung meistens noch möglich, da noch sehr viel Sympathie und Liebe da sind. Außerdem blicken junge Paare in der Regel noch nicht auf einen großen Haufen von Enttäuschungen zurück. Wenn man sich beispielsweise anhand eines Wochenplans ansieht, wie viel oder eher wenig Zeit Paare sich füreinander nehmen, und sie motiviert, gemeinsame Interessen auszubauen, ist schon ein großer Schritt getan. Außerdem ist es schwierig, unterschiedliche Meinungen des Partners anzuerkennen.
Zum Beispiel?
Bonse: Badezimmer und Küche sind häufige Streitpunkte: Wer lässt was liegen? Wer räumt auf? Wer trägt Müll und Getränkekisten? Meistens sind es Frauen, die resignieren und mehr Aufgaben übernehmen, als ihnen lieb ist. Der Pegel an Unzufriedenheit steigt, Männer gehen den Konflikten dann lieber aus dem Weg.
Steenken: Ein weiterer Klassiker sind Familienfeste: Während ein Partner auf dem Traditionsbesuch bei den Schwiegereltern besteht, möchte die andere ein paar ruhige Tage verbringen. In solchen Situationen Lösungen zu finden ist für viele Paare eine Herausforderung.
Wie sehen die Probleme in der Schwangerschaftskonfliktberatung aus?
Bonse: Sehr ähnlich. Während „sie“ den Zeitpunkt für ein Baby noch nicht gekommen sieht, könnte „er“ sich schon gut vorstellen, ein Kind zu haben.
Die Beratung wird ja von der evangelischen Kirche angeboten. Ist ihre Klientel denn nötigerweise auch gläubig?
Steenken: Nein, wir wollen Menschen zu individuellen Gewissensentscheidungen bringen, die sie später verantworten können. Das muss nicht nötigerweise im Sinne der Kirche sein. 60 Prozent der Klienten sind Kirchenmitglieder, davon 10 Prozent aus der katholischen oder einer freien Kirche. Wir sind froh, dass die Kirche in der Trennungsberatung keinen Druck ausübt. „Bis das der Tod euch scheidet“ muss nicht wörtlich genommen werden. Wenn eine Beziehung nicht mehr zur Lebendigkeit des Paares beiträgt, muss man akzeptieren, dass sie keine Zukunft mehr hat.
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