kabinenpredigt: Sarah BSC
Hertha BSC sucht neue Leistungsträger für die nächste Saison, und eigentlich müssten die Spieler Schlange stehen. Denn Hertha ist einfach der mit Abstand interessanteste Verein in der 1. Liga. Hier bekommt man alles geboten, was ein Fußballer sucht. Man sieht es nicht auf den ersten Blick, das gebe ich zu. Aber die Besten drängen sich einfach nicht so in den Vordergrund. Das ist wie damals in der Disko: auf der Tanzfläche die Loser, die die Frauen auf sich aufmerksam machen wollen, und an der Bar stehen die coolen Typen. Und Hertha – das sind die an der Bar!
Welcher andere Club gönnt seinen Spielern so viel Vergnügen? Wer hier mitmachen darf, kann etwa mit Marcelinho die Türsteher dieser Stadt kennen lernen. Obwohl, jetzt wo Pantelic seinen Dreijahresvertrag bekommen hat, wird der wohl die Rolle des enfant terrible übernehmen. Zehn Kilo zunehmen, die Drogen und sonstigen Versuchungen der Stadt ausprobieren, verkatert zum Training erscheinen, um nach einem halben Jahr Einsatz auf dem Rasen zufrieden die Ersatzbank zu belagern. Mehr Spaß macht das natürlich, wenn sich noch ein neuer Kumpel findet, der das mitmacht.
Ein weiterer Pluspunkt ist der Berliner an sich. In keiner anderen Stadt werden die Fußballer als so nebensächlich empfunden. Während man in Köln oder Bremen, in Gelsenkirchen oder München belagert wird, sobald man aus dem Haus geht, ist der Berliner erfreulich gleichgültig. „Hertha?“, sagt der sich, „det interessiert mir nich besonders!“ Diese Haltung erschließt den Spielern ungeahnte Freiheiten.
In Berlin spielen, das ist wie zweite Liga mit Großstadtflair und gutem Gehalt. Besonders anstrengen muss man sich auch nicht. Gut, der Verein sollte schon in der Nähe von Platz 5 bleiben, aber der ganz große Ehrgeiz, dieses unbedingte: Wir müssen gewinnen!, das gibt es hier nicht. Bei Hertha spielen nicht die Streber, sondern die, in deren Schulzeugnissen zu lesen war: Er könnte, wenn er wollte, bessere Leistungen erbringen.
So war es auch am Samstag gegen Gladbach. „Wir waren die klar bessere Mannschaft und haben zwei Punkte verloren“, meinte Dieter Hoeneß nach dem 2:2. Genauso ist es! Wir könnten, wenn wir wollten. Wir wollen aber nicht! Diese Haltung macht Hertha zum absolut schärfsten Verein der Liga. Sarah Schmidt
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