: Improvisation im Alltag
CÔTE D’IVOIRE Beim Festival Rue Princesse in Abidjan läuft der Kulturaustausch zwischen ivorischen und deutschen Künstlern spontaner als gedacht – und das ist gut
VON CHRISTIANE KÜHL
Die Rue Princesse ist eine staubige Sandstraße in Abidjans Vergnügungsviertel Yopougon mit Schlaglöchern in Badewannengröße. Zu beiden Straßenseiten stehen zweigeschossige Betonskelette, von denen unklar ist, ob sie ausgebrannt sind oder nie fertig gestellt wurden. Auf der Straße werden Handkarren gezogen, dazwischen bewegen sich Schüler in Uniformen und Gruppen von Jungs in Jeans und Flipflops. Handgemalte Schilder verweisen auf Beauty Shops, erloschene Leuchtreklamen an bonbonbunten Clubs auf ein Leben, das in der Mittagshitze ganz offensichtlich nicht stattfindet.
„Am Tag ist die Rue Princesse nichts“, nickt Jenny Mezile, die eine Tanzcompagnie leitet. „Aber wenn es dunkel wird, kommen die Leute. Egal wie elend dein Alltag ist; hier gibt es Musik und Licht und garantiertes Vergessen. Nachts ist sie die Champs-Élysées.“
Streikende Taxis
Abidjan, Elfenbeinküste. Bei unserer Ankunft aus Anlass des Festivals Rue Princesse, ein Projekt des Kulturaustausches, streiken seit drei Tagen Taxen und Lkws, weil der Benzinpreis allein seit Januar um umgerechnet 14 Cent gestiegen ist. In einem Land, in dem das Pro-Kopf-BIP 957 US-Dollar im Jahr beträgt, eine Katastrophe. Auf den großen Straßen der Fünf-Millionen-Metropole, sonst vollgestopft mit gelben und blauen Sammeltaxis, hören wir Grillenzirpen. Wie viele Menschen zur Arbeit kommen, wie die Taxifahrer den Lohnausfall überleben – nicht zu sagen.
Bei Sonnenuntergang werden auf der Rue Princesse die Soundsystems hochgefahren, Eiskübel voller Bier vor die Kunstledersesselgarnituren platziert, und die Straße ist voll als hätte sie den einzigen U-Bahn-Anschluss Westafrikas. Reden wird unmöglich, tanzen Pflicht. Die besten Tänzer werden vom Publikum mit Geld beworfen. Straßenkinder sichern so ihr Überleben, andere nähren ihren Traum – der in Persona soeben vor dem Club Monde Arabe aus einer schwarzen Limousine steigt. Ganz in beige, den Hut tief im Gesicht: DJ Arafat is in the House.
DJ Arafat, Sohn Tina Glamours, hat seine Karriere nebenan im Shangaï begonnen, bevor er nach Frankreich ging und einer der Protagonisten des Coupé Decalé wurde – einer Musikrichtung und Haltung, entwickelt von ivorischen Immigranten in Paris, die sich mit ihrem Underdog-Status nicht zufriedengeben wollten und stattdessen in den Banlieus eine HipHop-mäßige Behauptungsmaschine von Erfolg, Reichtum und Glamour anwarfen. Unter drei Mobiltelefonen geht gar nichts. Dass DJ Arafat heute auf die jungen Tänzer von Jenny Meziles Compagnie N’Soleh trifft, während Nadine Jessen und Melissa Logan von der Münchner Gruppe Chicks on Speed an den Turntables stehen, ist ein Zufall, der dem Berliner Künsterduo Gintersdorfer/Klaßen zu verdanken ist.
Monika Gintersdorfer und Knut Klaßen arbeiten bereits seit mehreren Jahren erfolgreich mit ivorischen Künstlern, mit stetig wachsendem Erfolg: Ihre Produktion „Othello, c’est qui?“ mit Franck Edmond Yao wird als Impulse-Preis-Gewinner beim Theatertreffen gezeigt. Im vergangenen Sommer haben sie ihre zweisprachigen Arbeiten erstmals in Abidjan aufgeführt. Jetzt konnten sie mit Unterstützung der Kulturstiftung des Bundes und des Goethe-Instituts befreundete Künstler an die Elfenbeinküste einladen. Seit Anfang März kamen so unter anderem Ted Gaier, Jacques Palminger, Erobique, Richard Siegal und God Squad zum Festival Rue Princesse in die Lagunenstadt.
In einem Land, in dem der Bürgerkrieg trotz Friedensabkommens nie wirklich geendet hat und der Tourismus vollständig zum Erliegen kam, sind „les allemands“ schnell so bekannt, dass sogar Soldaten bei den nächtlich Kontrollen mit „Guten Abend“ grüßen. Dann bitten sie mit locker geschulterten Maschinengewehren freundlich um etwas Geld „für einen Kaffee“.
Die lokalen Codes zu dechiffrieren, ist die größte Herausforderung für die angereisten Künstler. Alle sind gekommen, nicht um ihre Arbeiten zu präsentieren, sondern vor Ort zu produzieren. Was aber heißt es, wenn alle Musikerinnen, mit denen Logan und Jessen singen wollten, „verreist“ sind? Und was sieht das Publikum, wenn die beiden Milchgesichter mit eckigen Bewegungen auf der Bühne des Monde Arabe Electroclash mit Coupé Decalé mixen? Ihre mit Shaggy Sharoof und Yao eingesungenen Tracks klingen super cool, leeren aber die Tanzfläche sekundenschnell. Trotzdem sind sie am nächsten Abend in Clubs im entfernten Abobo zu hören. Sharoofs „Petits“ – junge Helfer, mit denen sich Coupé-Decalé-Stars umgeben – haben Kopien der Tracks an die richtigen DJs verteilt. Die informellen Vertriebswege funktionieren also, wenngleich nicht immer zu jedermanns Vorteil.
Go with the Flow
Neben zwei Mobiltelefonen verschwindet bei der Probe zur Modenschau des Designers Bobwear ein schwarz-roter Anzug. Zwei der drei Kameras der Performancegruppe Gob Squad sind dem tropischen Klima zum Opfer gefallen. Sie adaptieren die ivorischen Krisenstrategie: Go with the flow. Statt wie angekündigt auf der Rue Princesse, zeigen sie ihre Arbeit, sobald eine Kamera organisiert wird, in dem ruhigen Viertel Angré. Für „Super Night Shot“ filmen die Performer sich und zufällige Passanten, um sofort im Anschluss eine filmische Geschichte live zu mixen.
Befürchtungen, als weiße Kamerajäger verhasste Kolonialbilder zu reproduzieren, bestätigen sich nicht. Die Nachbarn, die die Suche des Helden nach einem Kuss bei Anbruch der Dunkelheit auf die Hauswand projiziert sehen, sind sichtlich angetan. Ein Junge schiebt später einen Dankesbrief unter die Tür.
Noch später klopft es und Samy, 17, steht schüchtern vor der Tür. Er würde gerne seinen Lieblingssong von Rihana vorsingen. Er würde sich sehr freuen, wenn jemand das mit der Kamera aufnähme. An der Elfenbeinküste fehlt es vor allem an Geld, das an der richtigen Stelle ankommt. Die zweite Mangelware jedoch heißt Aufmerksamkeit: Wer auch nur eine Woche in Abidjan verbringt und das Talent, die Energie und die Disziplin der Künstler oder After-School-Tanzschulen gesehen hat, begreift nicht, wie „Flash Dance 2“ je in Hollywood produziert werden durfte.
Auch deswegen wird die Arbeit von Gintersdorfer/Klaßen hier geschätzt: weil sie nicht patronisierende Workshops geben, sondern hingucken, koproduzieren und mit den Partnern auch in Europa arbeiten.
Vom Rest der Welt wahrgenommen zu werden, ist in Afrika wichtiger, als wir es uns mit unserer politisch korrekten Angst vor dem eurozentristischen Blick vorstellen können. Kulturschaffende sind extrem stolz auf ihr Land, das Schriftsteller wie Ahmadou Kourouma und Popmusiker wie Alpha Blondy hervorgebracht hat. Von Fußballstars wie Drogba ganz zu schweigen.
Dass im Rahmen des Festivals überhaupt weißes Publikum auf die Rue Princesse kommt, wird als Auszeichnung begriffen und in den Clubs stets mit den allerbesten Plätzen vergolten. Eine Aufwertung, die die europäischen Gäste sowohl angesichts des Gebotenen wie auch der Geschichte natürlich als völlig unangemessen empfinden, aber „richtiges“ Verhalten ist im fremden Kontext gleichermaßen schwer.
Dass der österreichische Künstler Marc Aschenbrenner in einem Alienkostüm durch einen Slum schreitet und sich mit Wasser aus Plastikflaschen begießen lässt, die mehr kosten als eine Abidjaner Familie am Tag zum Leben hat, lässt die Ivorer erstaunlich kalt. „Die Leute wissen, dass die Weißen reich sind. Sie ziehen da keine Verbindung zum eigenen Leben, sie freuen sich einfach über den Clown“, erklärt Maurice Yao, alleinerziehender Vater von sieben Kindern, zwei seiner Frauen sind an Malaria gestorben. Dass wir uns für die Dekadenz schämen, amüsiert ihn eher. „Don’t worry. Everybody knows: Les blanches, they are hopeless.“
Im Fernsehen beginnen die Nachrichten. Der Sprecher trägt einen schwarz-roten Anzug von Bobwear. Auf der Rue Princesse werden die Soundsystems hochgefahren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen