Neufundländer und Kapellmeister

HUNDEKUNDE In der Kreuzberger „Denkerei“ spricht Bazon Brock mit dem Autor Willi Winkler und der Philosophin Kerstin Decker über Hund und Kunst und Mensch und Welt

„Alles, was wir wissen, wissen wir von den Tieren“

FLUXUS-KÜNSTLER BAZON BROCK

Es war zwar kein Hund eingeladen worden, dafür wurde eine Lanze für ihn als „Mitbürger“ gebrochen. Der Dienstagabend in der Denkerei Kreuzberg verstand sich als Fortsetzung des Kongresses „God Dog“, den der Kunstprofessor und Fluxus-Künstler Bazon Brock 1984 organisiert hatte – nun folgte die „Hundekunde“. Tierfreund Brock bat bereits 1963 den Frankfurter Zoodirektor, für einen Käfig für ihn freizumachen, damit er seine (darwinistische) Zugehörigkeit zu den Tieren demonstrieren könne. Das wurde abgelehnt.

Erst 2005 rang sich der Londoner Zoo dazu durch und zeigte in einer „Sonderschau“ acht Menschen im Bärengehege. Für Brock sind die Objekte „Tiere“ so etwas wie das „historische Subjekt“: Seit dem Christentum, so Brock in der Vorrede, gehe es um „eine Revolution des Niederen. Wenn der Künstler Kippenberger einen Frosch ans Kreuz nagelt, dann verdeutlicht dies das. Die Humanisierung verläuft über die Evolution. Alles, was wir wissen, wissen wir von den Tieren.“

Auf dem Kongress stellte Pfarrerin Heike Seidel-Hoffmann zunächst ihren Exkurs von den antiken Kynikern zum hellenistischen Judentum vor, der mit „Jesus der Hund“ betitelt war.

Der Referent Ulrich Heinen schlug im Anschluss einen Bogen von der Stoa zu den Hundedarstellungen von Rubens im Barock – und zwar über den Umweg des holländischen Philosophen Justus Lipsius, eines Wissenschaftlers des 16. Jahrhunderts. Der veröffentlichte unter anderem ein Werk, in dem er seinen Hund in Ichform sprechen ließ. Von Rubens stammt ein Bild, das Lipsius mit Hund zeigt.

Heinen über Lipsius: „Er besaß mehrere Hunde. An der Domestikation sind Herr und Hund gleichermaßen beteiligt.“

Künstlerisch ging es weiter: Der Autor Willi Winkler hob auf eine Hundedarstellung von Dürer ab und auf dessen Meisterstich „Der heilige Hieronymus im Gehäus“. Hieronymus liegen darauf ein lammfrommer Löwe und ein treuer Hund zu Füßen. Auf Dürers Bildern ist der Hund das wohl meist dargestellte Tier. In einem späteren Bild sitzt „Martin Luther als Hieronymus im Gehäus“ – und übersetzt die Bibel. Der Hund guckt zu, während der Löwe ein Vogelpaar mit Küken bewacht.

Die nächste Referentin, Philosophin und Journalistin Kerstin Decker, las Passagen aus ihrem Buch „Richard Wagner. Mit den Augen seiner Hunde betrachtet“. Decker dreht darin durch die Hunde-perspektive den Vorder- und Hintergrund der ganzen Wagnerei um – Brock sprach davon, dass dadurch ein neues „Wagner-Bild“ entstehe. Wagner war dabei mindestens ein solcher Hundeliebhaber wie Bazon Brock. Wagner erklärte damals, dass nicht er sich einen Neufundländer zulegte, „sondern der Hund sich einen Kapellmeister suchte“. Beim Dirigieren saß er neben ihm. Dem Neufundländer folgten ein Spaniel, ein Terrier und schließlich wieder ein Neufundländer. „Die Sicherheit ihres In-der-Welt-Seins“ beeindruckte den Komponisten in dessen unsicherer Existenz.

Das Sujet Hund teilten die Anwesenden im Übrigen mit dem Schriftsteller Daniel Kehlmann, der mit seinem „Requiem für einen Hund“ gut in die Runde gepasst hätte.

Gegen Heinens Resümee – „Hunde sind die besten Begleiter – für Gelehrte“ würde Kehlmann wohl einwenden: „Man kann im stummen Zwiegespräch mit seinem Hund keine metaphysischen Fragen behandeln.“

Bazon Brocks behauptet dagegen kühn: „Hunde und Menschen sind identisch.“ In Kehlmanns lesenswerten Hundegesprächen wäre demgegenüber von einer „unüberwindlichen Grenze zwischen Menschen und Hunden“ die Rede, obwohl diese, im Gegensatz zu den Affen, schon lange ‚auf den Menschen gesetzt‘ hätten.

Man komme ihnen gegenüber unweigerlich auf den Gedanken, ein ‚höheres Wesen‘ zu sein, ‚und zwar dadurch, dass einem klar wird, wie viel es gibt, was man dem Tier nicht erklären kann.“

HELMUT HÖGE