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Ein panasiatischer Erfolg

TV-Serien, Kino-Melodramen und Komödien aus Südkorea finden ein begeistertes Publikum

von TILMAN BAUMGÄRTEL

Bei diesem Projekt wird nicht gekleckert, sondern geklotzt: In Gyeonggi, der Gegend nordwestlich der südkoreanischen Hauptstadt Seoul, soll ein Vergnügungspark entstehen. Für fast 2 Millarden Euro soll ein Stück Land von einem Quadratkilometer entwickelt werden, auf dem neben einem Freizeitpark auch Veranstaltungshallen, Fernsehstudios, Multimedia-Agenturen, Medienforschungsinstitute und eine Medienschule angesiedelt werden sollen – eine „Pop-Culture-Cluster-City“, wie es in der englischsprachigen Selbstdarstellung heißt. Und die wird von höchster Stelle protegiert. Die Regierung beteiligt sich an den Kosten, und aus der Hauptstadt Seoul soll eine direkte Bahnverbindung zu dem Gelände gebaut werden. Der Name des Projekts: Hallyu Wood.

Hallyu Wood? Außer beinharten Asia-Pop-Fanatikern dürfte dieser Begriff im Westen bisher kaum jemandem bekannt sein. In Asien hingegen ist „Hallyu“, das koreanische Wort für „Welle“, inzwischen ein geläufiger Begriff für ein Phänomen, das in den letzten Jahren ein asiatisches Land nach dem anderen heimsucht: der sagenhafte und vollkommen unerwartete Erfolg von Kinofilmen, Fernsehserien und Popmusik aus Südkorea. Das Land, dessen Popkultur bis vor fünf Jahren außerhalb der Landesgrenzen so gut wie unbekannt war, ist gerade dabei, ganz Asien im Sturm zu nehmen. Die Südkoreaner, bisher nicht gerade an besonderes Interesse an ihrer Heimat gewöhnt, wollen nun reagieren: Zum „Hallyu Wood“-Komplex soll auch ein „Hallyu“-Museum gehören, in dem das Phänomen gebührend aufgearbeitet werden soll.

Begonnen hat das Korea-Fieber 2002 mit der Fernsehserie „Winter Sonata“. Das Melodrama um unerfüllte Liebe und Unfalltote rührte Teenagerinnen, Mädchen und Hausfrauen in ganz Asien zu Tränen. In Japan, Hongkong, Taiwan, China und den Philippinen, aber auch in Teilen Russlands erreichte die Serie Rekordquoten. Oh Su Yeon, der Autor der „Koreanovela“, ließ auf „Winter Sonata“ umgehend „Autumn Story“ and „Summer Scent“ folgen.

Die Serie machte den koreanische Schauspieler Bae Yong Joon, der in „Winter Sonata“ und einigen anderen Soaps und Liebesfilmen die Hauptrolle spielte, zum gesamtasiatischen Superstar. Seine Auftritte lösen in Städten wie Hongkong, Tokio oder Taipei regelmäßig tumultartige Szenen aus. Als er Ende des vergangenen Jahres in Peking seinen neuen Film „April Snow“ vorstellte, wurde der in einer der größten Hallen der Stadt präsentiert. Und obwohl der Eintritt 40 Euro betrug, war diese ausverkauft. Die Besucher waren zum Teil aus Schanghai und anderen weit entfernten chinesischen Städten angereist.

Plakate in Peking

Aber es sind nicht nur die südkoreanischen Soap Operas, die in ganzen Asien erfolgreich sind. Auch Kino-Melodramen und Komödien wie „My Wife is a Gangster“ sind im Kino und auf DVD Riesenerfolge. Im Westen ist bisher vor allem das anspruchsvollere südkoreanische Kino der letzten Jahren auf Beachtung gestoßen. Spätestens seit der Regisseur Park Chan Wook 2004 für „Old Boy“ bei den Filmfestspielen von Cannes den Großen Preis der Jury erhielt, interessieren sich europäische und amerikanische Cineasten für die Filme von koreanischen Arthouse-Regisseuren wie Kim Ki Duk („Frühling, Sommer, Herbst, Winter … und Frühling“, 2003, „Die Insel“, 2000).

In Asien ist es dagegen eher das südkoreanische Unterhaltungskino, das ankommt – besonders romantische Komödien wie „My Sassy Girl“. So leicht dieser unglaublich erfolgreiche Film über eine Studentenromanze auch daherkommt, so gibt er doch Auskunft über Entwicklungen in der südkoreanischen Gesellschaft der letzten Jahre. Die Protagonistin, die ihren Freund Kyun Woo herumkommandiert und sich regelmäßig bewusstlos trinkt, ist weit entfernt vom Klischee der devoten Asiatin und kann als Ausdruck der veränderten Rolle der Frau in der ehedem extrem konservativen und patriarchalischen koreanischen Gesellschaft betrachtet werden. Die Hauptdarstellerin Jun Ji Hyun wirbt inzwischen asienweit für Digitalkameras und Kosmetik und lächelt von Plakatwänden von Peking bis Singapur herab.

Der grenzüberschreitende Durchbruch von Filmen ist für Asien – anders als für Europa – ein vollkommen neues Phänomen. Bis auf die Kung-Fu-Filme der 70er- und 80er-Jahre aus Hongkong hat es bisher nur sehr selten panasiatische Filmerfolge gegeben. In den meisten Ländern der Region dominiert entweder das nationale oder das US-amerikanische Kino. Anrainerstaaten werden in Asien kaum wahrgenommen, oft ist der kulturelle Bezug zu den ehemaligen Kolonialherren größer als zu den Nachbarn.

Nur wenige Schauspieler – Jackie Chan, Bruce Lee oder Michelle Yeoh – wurden in der Vergangenheit gesamtasiatische Stars. Auf die koreanischen Erfolge ist hingegen inzwischen sogar schon Hollywood aufmerksam geworden und kauft Filmrechte. Nach den diversen Remakes von japanischen Horrorfilmen wie „The Ring“ oder „The Grudge“ wird es wohl demnächst einige Remakes von koreanischen Filmen wie „My Sassy Girl“, „My Wife is a Gangster“ und „Old Boy“ geben.

Das plötzliche Interesse an ihrem Land ist Balsam für die Seelen der Südkoreaner, die sich jahrzehntelang entweder als missachtete Außenseiter oder hilflose Opfer empfunden haben. Jahrhundertelang war das Land immer wieder von seinen großen Nachbarn China und Japan überrannt worden und wurde zuletzt Anfang des 20. Jahrhunderts von den Japanern mehr als 30 Jahre mit äußerster Grausamkeit als Kolonie gehalten. Was für ein Triumph, wenn japanische Hausfrauen nun über die Liebesverwirrungen in Serien wie „Eternal Love“ oder „Stairway to Heaven“ bittere Tränen vergießen.

Seit „Winter Sonata“ wollen Leute aus ganz Asien nach Korea, das zuvor kaum Reisende anlockte. Die schneereiche und bergige Gangwon-Do-Region im Nordosten Südkoreas, in der die Serie spielt, wurde vorher selbst von Koreanern kaum besucht. Nun ist sie eine Touristenattraktion, zu der Reisegruppen aus Japan und Taiwan pilgern, um die Parkbank zu bewundern, auf der sich Jun Sang und Yoo Jin zum ersten Mal küssen.

Das koreanische Fremdenverkehrsamt bietet inzwischen Pauschalreisen zu den Drehorten von „Winter Sonata“ an. 2005 kam eine knappe halbe Million Touristen, um Locations dieser und anderer koreanischen Serien zu besuchen – unter anderem die einst einsamen Namiseom-Inseln, auf die das Liebespaar in „Winter Sonata“ einen Ausflug macht. Die Behörde schätzt, dass im vergangenen Jahr insgesamt eine Million Gäste durch die „Hallyu“-Begeisterung nach Korea gekommen seien; der Profit, den die Tourismusindustrie gemacht hat, wird auf mehr als 9 Milliarden Euro geschätzt.

Der Boom hat System. Hinter den Kulissen hat die koreanische Kulturbehörden zum Erfolg von koreanischen Serien beigetragen. Die Soap Operas wurden zum Teil zu Dumpingpreisen ins Ausland verkauft, um Südkoreas Ansehen in der Region zu stärken. Ganz klar wollen die Koreaner, nachdem sie in den 90er-Jahren zur wirtschaftlichen Großmacht aufgestiegen sind, nun auch kulturell international mitspielen.

Schmachtende Blicke

Auch der Erfolg des koreanischen Films ist Ergebnis staatlicher Intervention. Trotz regelmäßiger Proteste der USA hat Südkorea bis heute ein Quotensystem, nach dem nur die Hälfte aller Filme in koreanischen Kinos ausländische Produktionen sein dürften. Der Rest ist für lokale Produktionen reserviert, die zudem durch staatliche Subventionen gefördert werden. Dadurch ist es in Korea gelungen, die Dominanz amerikanischer Blockbuster-Produktionen in den Kinos zu vermeiden, die zum Beispiel dem Hongkong-Film langsam das Ende zu bereiten scheint. Damit könnte es jetzt allerdings bald vorbei sein: Um einen Freihandelsvertrag mit den USA zu erwirken, hat sich die südkoreanische Regierung bereit erklärt, die Quote für koreanische Filme zu kürzen. Statt an 146 Tagen wie bisher sollen dann nur noch an 73 Tagen lokale Produktionen im Kino laufen. Die koreanische Filmindustrie befürchtet große finanzielle Einbußen.

Dem westliche Betrachter mögen solche Serien etwas spießig erscheinen. Das ist freilich genau der Grund, warum die koreanischen Produktionen in der Region so beliebt sind. Selbst in Serien, in denen junge Leute im Mittelpunkt stehen, geht es nie um Sex, Gewalt oder andere Exzesse, sondern um sittsame, romantische Konflikte. Gut aussehende, junge Menschen missverstehen sich, schmachten und leiden still, ein waidwunder Blick sagt mehr als tausend Worte, und erst ganz am Ende finden sie doch noch zusammen. Die Betonung des Melodramatischen ist besonders bei einem Land wie Korea erstaunlich, in dem das Wort für romantische Liebe erst Anfang des vergangenen Jahrhunderts als Lehnwort aus dem Japanischen aufkam und dessen Touristen im Rest Asiens wegen ihrer Grobheit und Unhöflichkeit gefürchtet sind.

Serien wie die gerade phänomenal erfolgreiche „Jewel in the Palace“ appellieren ganz offen an Traditionsbewusstsein und asiatische „family values“. Das kommt nicht nur in der Region gut an: Als „Winter Sonata“ Ende des vergangenen Jahres in Ägypten im Fernsehen gezeigt wurde, war die Serie so erfolgreich, dass die koreanische Produktionsfirma anschließend ein arabisches Diskussionsforum auf der Website der Serie einrichtete. Auf dieser können sich nun auch die neuen ägyptischen Fans von Bae Yong Joon über dessen eingefärbte braune Strähnchen und seine John-Lennon-Brille austauschen.

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