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Die Weißen sind noch nicht ganz reif

ISLAM IM MITTELALTER Obwohl mit viel Fantasie geschrieben, sind die Reisebeschreibungen des Marokkaners Ibn Battuta eine der genauesten Beschreibungen der islamischen Welt im 14. Jahrhundert

Ägypten besuchen die meisten Reisenden wegen der Gräber. Der Forschungsreisende Ibn Battuta (1304–1377) ist da keine Ausnahme, die Pyramiden und das Tal der Könige allerdings erwähnt er nicht einmal. Ihn interessieren allein die Grabstätten berühmter muslimischer Imame und Heiliger, auch den lebenden Religionsgelehrten macht er seine Aufwartung.

Eine Fernreise im Mittelalter, die nicht zu kommerziellen Zwecken unternommen wurde, war eigentlich immer eine Pilgerfahrt. Ibn Battuta wollte alle bedeutenden Muslime vorstellen, die lebenden wie die toten, und reiste bis ins ferne China, um sie zu finden. Genau genommen reiste er nicht wirklich dorthin, der Übersetzer Ralf Elger schildert im Nachwort eine Reihe von Widersprüchen, die belegen, dass Ibn Battuta viele der beschriebenen Orte nicht besucht haben kann, und stellt dar, von wem der angebliche Reisende bzw. Ibn Dschuzzay, der die Erzählung aufzeichnete, abschrieb und welcher weiteren Quellen er sich bedient haben könnte.

Doch sollten wir Ibn Battuta nicht als Plagiator schelten. Für die Menschen des Mittelalters stand die Botschaft im Mittelpunkt, sie wünschten, erbauliche Geschichten zu hören, wollten aber auch etwas über Orte erfahren, die sie nie zu sehen bekommen würden. Ibn Battutas Bericht fasst das Wissen gebildeter Araber seiner Epoche über die ihnen bekannte Welt zusammen, er ist eine Enzyklopädie, aber auch ein Märchen.

Ibn Battuta unternimmt eine magische Reise, geleitet von Weissagungen. Er erzählt von exotischen Gebräuchen wie dem Kannibalismus in entlegenen Gebieten Afrikas, wo allerdings Weiße nicht verspeist werden, weil man glaubt, sie „schadeten der Gesundheit, da sie noch nicht ganz reif seien“. Er berichtet vom Wirtschaftsleben, referiert die Weizenpreise, vor allem aber spricht er über Wunder.

Katholische Freude

Während der sunnitische Islam unserer Zeit von protestantischer Nüchternheit gekennzeichnet ist, zeigt Ibn Battuta eine sehr katholische Freude an Wundern und Fabeln. Manche sind erbaulich, etwa die Geschichte eines Muslims, dessen Koranrezitationen einen Feuerdämon bannen, sodass zahlreiche Menschen bekehrt werden. Unbekümmert erkennt Ibn Battuta auch die Wunder an, die von hinduistischen Jogis bewirkt werden.

Ibn Battutas Wunderglaube ist fast unbegrenzt, nur bei der Begegnung mit dem 350 Jahre alten Ata Awliya, dem alle 100 Jahre neue Zähne wachsen, beschleichen ihn Zweifel, doch fügt er vorsichtshalber hinzu: „Gott weiß es am besten.“ Manche der von ihm beschriebenen Fabelwesen waren auch der christlichen Welt bekannt, er bedient sich zahlreicher aus europäischen Erzählungen geläufiger Motive, berichtet etwa von Amazonen und einer fernöstlichen Brunhilde, die nur einen Mann heiraten will, der sie zuvor im Kampf besiegt hat, und variiert in einer Geschichte über die christliche Frau eines muslimischen Herrschers das Thema der zwischen Gefühl und Pflicht hin und her gerissenen Prinzessin. Elger spricht von einer „mittelalterlichen Globalisierung“, einem „Milieu von Literaten mit gleichen Interessen und Ausdrucksformen, das über die Kulturgrenzen hinwegreichte“. In diesem Milieu hätte die moderne Unterscheidung zwischen Fakt und Fiktion als banausisch gegolten. Ibn Battuta hat Marokko möglicherweise nie verlassen, doch das hinderte ihn nicht daran, eine in jeder Hinsicht wundervolle Geschichte zu erzählen.JÖRN SCHULZ

Ibn Battuta: „Die Wunder des Morgenlandes. Reisen durch Afrika und Asien“. Verlag C.H. Beck, München 2010. 256 S., 24,95 Euro

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