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„Auf die Heilkraft der Natur setzen“

NATURSCHUTZ Vor zehn Jahren kaufte der BUND ehemalige Tagebau-Gebiete, um sie sich selbst zu überlassen. Naturschutz-Expertin Heidrun Heidecke zieht Bilanz: Fischotter, Biber und Seeadler sind zurück

Heidrun Heidecke

■ 55, Leiterin der Abteilung Naturschutzpolitik BUND, war Mitbegründerin der Grünen der DDR. Nach der Wende war die Lehrerin die erste grüne Umweltministerin in Sachsen-Anhalt unter Reinhard Höppner.

taz: Frau Heidecke, rund um Bitterfeld hat der BUND vor zehn Jahren ehemalige Tagebau-Gebiete gekauft, um sie sich selbst zu überlassen. Warum?

Heidrun Heidecke: Die Region galt wegen der Tagebaue einmal als sogenannte Katastrophenregion Deutschlands und sogar Europas. Indem wir nichts tun, sorgen wir dafür, dass die Natur die Renaturierung selbst vorantreiben kann.

Sie wollen nicht die Situation, wie sie vor dem Tagebau bestand, aktiv wiederherstellen?

Das ist unmöglich. Vielmehr sollte man auf die Heilkraft der Natur setzen.

Worin sehen Sie denn dann die Aufgabe des BUND, wenn die Natur sich selbst heilt?

Erst mal schützen wir das Gebiet vor land- und forstwirtschaftlicher Nutzung. Zum anderen erfassen wir auch sehr genau, wie das Gebiet sich entwickelt. Denn wir wollen daraus lernen. Beispielsweise kann man dort gut studieren, welche Tier- und Pflanzenarten zu welchem Zeitpunkt in eine Landschaft einwandern.

Wie hat sich die Artenvielfalt in der Region um Bitterfeld denn seit Ende des Tagebaus entwickelt?

Im Prinzip waren die Tagebaue Wüsten und so gut wie leer. Aber man kann sagen: Die Natur hat so ziemlich alle unsere Prognosen links überholt. Der Fischotter etwa ist dort Jahre früher wieder heimisch geworden, als wir das erwartet hatten. Auch der Biber und eine der kleinsten Spechtarten, der Wendehals, kamen zurück. Auf einer Insel im See brütet sogar ein Seeadlerpärchen.

Und das alles ohne menschliches Zutun?

Wenn die Rahmenbedingungen passen, sind viele Tier- und Pflanzenarten mobil genug, sich solche Landschaften auch wieder zurückzuerobern.

Sind dann Zerstörungen wie die durch den Tagebau am Ende vielleicht sogar nützlich?

An der Goitzsche

■ Über tausend Hektar Wald, Offenland und Wasserflächen hat die BUND-Stiftung in der Goitzsche, einem ehemaligen Braunkohletagebau bei Bitterfeld, gekauft. Für die Freihaltung des Gebietes sorgt eine wilde Herde Exmoor-Ponys.

Um Himmels willen, nein! Jeder Abbau – egal ob Kohle oder Kies – ist ein wahnsinniger Eingriff in die Natur. Das Grundwasser und das gesamte Bodengefüge werden gestört, der Lebensraum der dort lebenden Tier- und Pflanzenarten wird vernichtet. Aber wenn das schon gemacht wird, sollte man wenigstens nicht versuchen, hinterher mit viel Geld daraus wieder eine Forstfläche oder einen Acker zu machen.

Ist das denn eine Lösung auch für andere Umweltzerstörungen auf der Erde? Die Natur einfach machen zu lassen?

Das funktioniert natürlich nicht überall gleich gut. Vor allem kann man das nicht einfach auf andere Kontinente übertragen: In den Tropen etwa dürfte das deutlich problematischer sein. Würde man dort auf gerodeten Gebieten auf eine Zurückeroberung durch die Natur warten, würden vermutlich einige Jahrhunderte vergehen, bis das wieder entstanden ist, was zerstört wurde. INTERVIEW: THOMAS SCHMID

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