: Können Staaten Freunde sein?
SPIONAGE USA, BRD, NSA – oh je, oh je
Die sonntaz-Frage wird vorab online gestellt.
Immer ab Dienstagmittag. Wir wählen eine interessante Antwort aus und drucken sie dann in der sonntaz.
JA
Katrin Göring-Eckardt, 47, ist Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion
Als ehemalige DDR-Bürgerin bin ich ein gebranntes Kind, wenn es um Freundschaftsschwüre zwischen Staaten geht. Die inszenierte Freundschaft zwischen DDR und Sowjetunion war ja vor allem dazu da, die DDR-Bürger ideologisch zu disziplinieren. Die deutsch-amerikanische Freundschaft dagegen ist eine politische Verbindung, keine Vorschrift. Sie basiert auf gemeinsamen Werten wie Freiheit, Demokratie und Menschenrechte. Nach der Schoah und dem Zweiten Weltkrieg mussten sich die Deutschen auf diese Werte erst wieder neu verständigen. Hier haben wir den USA viel zu verdanken. Trotzdem darf es zwischen Freunden Konflikte geben, auch wenn sich diese natürlich nicht alles erlauben können. Ich bin mir aber sicher, dass Deutschland und die USA trotz des Vertrauensbruchs ziemlich beste Freunde bleiben werden.
Alexander Graf Lambsdorff, 46, sitzt für die FDP im Europäischen Parlament
Auch zwischen Staaten existieren Freundschaften, aber sie sind anders als zwischen Menschen. Nicht jede Allianz ist auch eine Freundschaft. Als Deutschland der Nato beitrat, wurden aus ehemaligen Kriegsgegnern Verbündete. Freunde waren wir damals sicher noch nicht. Echte Freundschaften brauchen Zeit. Sie müssen dezentral von einer Vielzahl persönlicher Freundschaften getragen sein, begründet durch Austauschprogramme in Bildung und Kultur sowie geschäftliche Beziehungen. So entsteht Verständnis füreinander. Das ist etwas ganz anderes als die von oben verordnete „Deutsch-Sowjetische Freundschaft“ in der DDR. Ohne Zweifel: Die Freundschaft zu den USA ist durch die Spähaffäre enttäuscht worden. So etwas kommt vor. Jetzt sind von beiden Seiten offene Worte gefragt. Freundschaften sind wertvoll, aber nicht selbstverständlich – weder zwischen Menschen noch zwischen Staaten.
Annette Heuser, 42, ist Executive Director der Bertelsmann Stiftung in Washington, D. C.
Deutschland und die USA sind Freunde. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde durch behutsame Diplomatie, gemeinsame Projekte, wie dem Aufbau der Nato, und Millionen von persönlichen Kontakten zwischen Deutschen und Amerikanern ein enges Band über den Atlantik geknüpft. Beide Länder haben bewiesen, dass aus einer Partnerschaft zwischen Staaten Freundschaft entsteht, wenn gemeinsam schwierige Situationen gemeistert werden und dabei immer auf den Partner Verlass ist. So hat sich der enge Schulterschluss der Amerikaner bei der deutschen Wiedervereinigung tief in die politische DNA beider Staaten eingebrannt. Gerade weil sich Deutschland als Freund der USA versteht, sitzt die emotionale, weniger die politische Enttäuschung jetzt so tief gegenüber den amerikanischen Abhöraktiviäten. Die NSA-Affäre nagt an den Grundfesten der transatlantischen Freundschaft, dem gegenseitigen Vertrauen. Wir müssen es zurückerlangen, wenn wir mehr sein wollen als nur Partner.
Beate Neuss, 60, ist Professorin für Internationale Politik an der TU Chemnitz
Enge Bündnispartner haben besondere Beziehungen, die nicht nur von einem gemeinsamen Interesse und geteilten Werten leben, sondern auch vom gegenseitigen Vertrauen in Personen. Das unterscheidet enge Bündnispartner von „strategischen Partnern“. Die Geschichte zeigt, dass viele Entscheidungen in den internationalen Beziehungen ohne ein Vertrauensverhältnis nicht so getroffen worden wären. Die Aushandlung der deutschen Einheit mit den Verbündeten etwa setzte das gegenseitige Vertrauen der Partner voraus.
Nein
Katja Kipping, 35, ist Abgeordnete und Bundesvorsitzende der Partei Die Linke
Unbenommen realer Freundschaften zwischen ihren Bürgern wurde die offiziell verkündete Deutsch-Sowjetische-Freundschaft zumeist nur als „DSF“ ausgesprochen. Von „den Freunden“ war ironisch immer dann die Rede, wenn es um Ärgernisse sowjetischer militärischer Präsenz ging. Die Rückkehr der Freundschaftssemantik in Bezug auf außenpolitischen Beziehungen der Bundesrepublik ist bezeichnend. Individuen können Freunde, Staaten können lediglich Verbündete sein. Als solche binden sie gemeinsame Interessen oder die Drohung mit Gewalt. Freundschaften und freiwillige Staatenbündnisse haben aber etwas gemeinsam: Sie beruhen auf Vertrauen und dem Versprechen, nicht mutwillig gegen Grundsätze des anderen zu verstoßen. Legt man das Grundgesetz und dessen (mittlerweile stark ausgehöhlten) Schutz der Privatsphäre zugrunde, wird dies von der Geheimdienstkoalition „Five Eyes“, Australien, Großbritannien, Kanada, Neuseeland und USA, derzeit getan.
Andrew J. Nathan, 70, ist Politologe und Fellow an der American Academy Berlin
Ob Staaten Freunde sein können hängt von dem Verständnis des Wortes Freunde ab. Zwischenstaatliche Beziehungen basieren auf gemeinsamen Interessen und nicht auf Emotionen. Deutschland und Amerika haben viele gemeinsame Interessen und kooperieren daher häufig und ohne Komplikationen miteinander. In diesem Sinne könnte man beide Staaten als Freunde betrachten. Bei unterschiedlichen Interessensauffassungen ist es jedoch sehr schwer vorstellbar, dass ein Staat seine Interessen gegenüber denen eines anderen Staates aufgeben würde. Obama und Merkel mögen sich persönlich vielleicht sehr schätzen. Trotzdem würde ich es als Amerikaner niemals erwarten, dass mein Präsident die nationalen Interessen Amerikas preisgibt, nur um einer anderen Person zu helfen, selbst wenn diese Person ein Staatschef ist. Nur Menschen können Freunde sein, Staaten nicht.
Gayle Tufts, 53, ist amerikanische Entertainerin mit festem Wohnsitz in Berlin
Dieser Tage stehen amerikanische Abgeordnete vor dem Weißen Haus und schwenken die alte Flagge der Konföderierten, jener Südstaaten, die sich 1860/1861 für unabhängig erklärten. Diese gewählten Volksvertreter begreifen den eigenen Staat als Feind. Die noch keine 250 Jahre alten, pubertierenden USA müssen zurzeit erst einmal mit sich selber klarkommen, bevor sie überhaupt daran denken können, was Freundschaft bedeutet und wie eine solche gelebt wird.
Steffen Wolf, 23, ist Politikstudent in Dresden und hat den Streit per Mail kommentiert
Die Frage nach der Existenz von Freundschaft zwischen Staaten ist vor allem eine Frage der Theorien der internationalen Beziehungen. Die dominierende Theorie in den USA nach dem 11. September 2001 nennt sich Neo-Realismus. Dieser betrachtet den einzelnen Staat als rational handelndes Wesen in dem anarchischen System der internationalen Beziehungen. Durch die Abwesenheit von Macht und Kontrolle entsteht für den einzelnen Staat eine gewisse Unsicherheit, die er zu bekämpfen versucht. Als Instrument steht ihm dabei nur die eigene „Macht“ zur Verfügung. Das macht Kooperation schwierig. Gegenseitiges Misstrauen und der Versuch der Durchsetzung der eigenen Macht prägen die Beziehung der Akteure. Von Freundschaft zwischen Staaten kann daher nicht die Rede sein. Doch liegen die Gründe nicht in einer einzelnen Abhöraktion, sondern tief unten im Sumpf der Theorie.
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