: In Spandau geht die Welt unter
6. LIGA Absteigen muss der Spandauer SV ohnehin. Jetzt droht dem Traditionsverein noch der Ausschluss aus dem Berliner Fußball-Verband
Frank Marczewski kommt als einer der Letzten in die Umkleidekabine. Einige Mitspieler beim Spandauer SV laufen sich bereits warm für den Auftritt gegen das Reserveteam des 1. FC Union, den Spitzenreiter in der Berlin-Liga. „Seid ihr genug Leute?“, ruft Marczewski seinen SSV-Kollegen zu. Wenige Minuten später läuft der Mann mit den grauen Haaren und dem etwas hölzern wirkenden Gang in Sportkleidung auf das Spielfeld an der Neuendorfer Straße.
Marczewski ist ein Spandauer Denkmal auf zwei Beinen. Der heute 56-Jährige war bereits 1976 als Aktiver dabei, als die Spandauer aus der 2. Bundesliga abstiegen. Ganze acht Punkte ergatterten die Havelstädter damals, Marczewski war in 36 von 38 Partien dabei. Jetzt hilft der alte Herr noch mal aus. „Man hat mich gefragt, ob ich einspringen kann. Ich habe Ja gesagt. Der SSV ist doch mein Verein“, sagt er. Trotz der schlimmen Bilanz in der Profi-Saison 1975/76 geht es dem SSV aktuell noch schlechter. „Der Vorstand ist auf Tauchstation gegangen“, erklärt Spielleiter Bernd Wusterhausen vom Berliner Fußball-Verband (BFV).
Das Geld beim SSV ist alle, die besten Spieler sind abgewandert. Der Club kassierte zuletzt eine Strafe nach der anderen. Mal trat die Mannschaft nicht vollzählig an, mal kamen nicht spielberechtigte Akteure zum Einsatz. Auch den BFV-Beitrag blieb der Verein zwischendurch schuldig. Der Traditionsverein SSV steht abgeschlagen auf dem letzten Platz der 6. Liga. Der Abstieg ist längst besiegelt. Es wäre der zweite in Folge für den SSV, nachdem man zuletzt die Oberliga verlassen musste. Es kann aber noch schlimmer kommen. Ende Mai soll der BFV angeblich über einen Ausschluss der Skandalnudel beraten.
„Es ist traurig, was beim SSV passiert“, klagt Marczewski nach der 0:4-Niederlage gegen Union. Er hält trotzdem noch mal die Knochen hin, auch wenn ihm die Jungspunde davonjagen. „Ich lass sie rennen und denke mir: Vor 30 Jahren hätte ich den Ball geschnappt.“
Die Saison in der Berlin-Liga geht auf die Zielgerade. So paradox es klingt: Die Konkurrenz hofft, dass der SSV nicht vorzeitig schlapp macht. Sonst könnten sämtliche Resultate nachträglich gelöscht werden, vielen Gegnern gingen Punkte flöten. Vorletzte Woche, bei der deftigen 1:11-Klatsche gegen Aufstiegsaspirant Viktoria 89, kursierten sogar Gerüchte, der Gegner hätte den Spandauern 150 Euro spendiert, damit sie überhaupt antreten. „Wir lassen uns nicht bezahlen“, wettert Klaus Kaltofen.
Wie Marcczewski verbindet auch den Trainer eine Nibelungentreue zum Club, der Coach, wäscht sogar die Spielertrikots. „Der Vorstand hat uns hängen lassen“, schimpft er. „Aber wir halten durch.“ JÜRGEN SCHULZ
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