KEINE KATZENAUGEN: Bürgersteigarmee
Es gab seinerzeit viele Gründe, aus der Kleinstadt wegzuziehen und sein Glück in der größeren Stadt zu versuchen. Etwa die Tanken, die bereits um 22 Uhr schlossen, die Zeltdiscos, die man selten unfallfrei verließ, das öde Jugendkulturzentrum. So was.
Oder auch endlich auf Bürgersteigen und ohne Licht Fahrradfahren, ohne von gelangweilten Provinzpolizisten angehalten zu werden – das hatte ich mir immer vom Leben in der Großstadt versprochen: Anarchoradeln. Survival of the fastest.
Aber: Nix is. So kam es neulich zu einem regelrechten Showdown auf dem breiten Bürgersteig in der Pflügerstraße. Die ProtagonistInnen: ich (Fahrradfahrer, Richtung Sonnenallee), mir gegenüber drei Uniformierte des Ordnungsamts (dunkelblauer Dress, Dienstmützen). Zwei Frauen und ein Mann, alle mittleren Alters, bilden die eindrucksvolle Kette. „Huch, Sie kommen ja mit einer ganzen Armee!“, sage ich. – „Na, ’ne Armee sieht aber anders aus“, sagt der dickliche Mann mit den roten Wangen. „Oder haben Sie Angst vor Frauen?“ Da fällt mir nun gar nichts zu ein. Den Frauen leider auch nicht. Meine Laune verbessert der plumpe Spruch nicht gerade. „20 Euro“, sagt eine der Frauen, „so viel kostet Sie das Fahren auf dem Gehweg normalerweise – nur, dass Sie’s mal wissen.“ Der Tonfall sagt: Ich werde wohl mit einer Verwarnung davonkommen.
Prompt will ich mich aus dem Staub machen und Richtung holpriges Straßenpflaster verschwinden, da schaltet sich die andere der beiden Frauen ein. „Warten Sie“, sagt sie und inspiziert nun das Fahrrad. „Licht haben Sie ja immerhin. Aber zwei Sachen fallen mir auf: Keine Reflektoren an den Pedalen und keine Katzenaugen. Das würde noch mal 10 Euro kosten“, sagt sie. „Nur dass Sie wissen, wo Sie sich bewegen.“ Das weiß ich in der Tat nicht mehr. Vor allem bewege ich mich dann erst mal: fort von dort. JENS UTHOFF
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