: Der lange Abschied
Uwe Vorkötter verlässt nun doch die „Berliner Zeitung“. Suche nach neuem Chefredakteur bisher völlig offen. Sorge um geplantes Redaktionsstatut
aus Berlin STEFFEN GRIMBERG
Am Dienstag dieser Woche machte Uwe Vorkötter einen ausgesprochen entspannten Eindruck. Beim Mitteldeutschen Medienforum in Leipzig gab es zwar auch ein Panel über Finanzinvestoren im deutschen Medienmarkt. Doch der Chefredakteur, dessen Blatt im vergangenen Herbst von solchen Risikokapitalisten übernommen worden war, debattierte lieber engagiert über die Zuverlässigkeit von Wahlprognosen. Neues zur eigenen Situation, zum Abwehrkampf der Berliner Zeitung gegen die vermeintlichen „Heuschrecken“, gebe es eigentlich nicht, erzählte er danach gut gelaunt beim Kaffee. Wie man heute weiß, nichts bis auf ein kleines Detail: Uwe Vorkötter verlässt nun doch die Berliner Zeitung.
Mit „langem Atem“ war er 2002 in Berlin angetreten, um „an der Zeitung zu arbeiten“, er sei „kein Job-Hopper“, sagte er damals im taz-Interview. 20 Jahre war er zuvor bei der Stuttgarter Zeitung. Jetzt ist schon nach nicht einmal vier Jahren Schluss. Vorkötter geht, äußern mag er sich derzeit dazu nicht: Alle Anrufe blieben gestern unbeantwortet. Eben noch hatte er den Preis für Pressefreiheit des Deutschen Journalisten-Verbands stellvertretend für das Blatt entgegengenommen, für „mutiges und engagiertes Eintreten“ gegen die Pläne der neuen Eigentümer um den britischen Medienunternehmer David Montgomery. „Chefredakteur des Jahres“ war er geworden, weil er seiner Redaktion den Rücken gestärkt hatte. Doch schon da, berichten Vorkötter-Vertraute, sei sicher gewesen, dass er geht: „Ihm war klar, er hat keine Zukunft unter dem neuen Regime.“
Denn Montgomery und seine Finanzinvestoren haben dem im Herbst 2005 übernommenen Berliner Verlag (Berliner Zeitung, Kurier, Tip, Anzeigenblätter) eine weitere Rosskur verordnet: Sie wollen im schwierigen Berliner Zeitungsmarkt 20-prozentige Umsatzrenditen erzielen und das Unternehmen zum Kernstück einer künftigen bundesweiten Zeitungskette umbauen. Dabei hat der Verlag eine Rosskur aus eigener Kraft eben hinter sich, ist sogar – unter Berliner Verhältnissen keine Selbstverständlichkeit – profitabel. Doch von den erwarteten Renditen bleibt das alles weit entfernt. Trotz leichter Auflagenzuwächse, sogar beim Schwestertitel Kurier. Machbar, sagen die Branchenexperten, seien solche Umsatzvorgaben nur bei deutlichem Personalabbau. Den schließt auch die Geschäftsführung ausdrücklich nicht aus. Bis zu 2 Millionen Euro sollen allein im Redaktionsetat eingespart werden, heißt es im Verlagshaus am Alexanderplatz. Um umgerechnet 20 bis 30 Stellen fürchtet ein Redakteur. Vorkötter hatte angekündigt, dies nicht mitzutragen.
Für die neue Verlagsführung bedeutet Vorkötters Entschluss eine weitere Schlappe auf dem Markt der publizistischen Eitelkeiten: Die Berliner Zeitung war zwar in den letzten Monaten in aller Munde, doch nicht ganz so, wie es sich die neuen Herren wünschten. Wegen der Querelen mit der Belegschaft war ganz zu Anfang das Investmenthaus 3i aus Montgomerys Konsortium ausgestiegen. Auch jetzt ist immer wieder von Spannungen zwischen Montgomerys eigener Firma Mecon und dem Hauptgeldgeber, der Investmentbank VSS, die Rede. Zumal auf die vollmundigen Ankündigungen (Zeitungskette!) bislang wenig Resultate folgten. Bislang gelang nur der Zukauf des Boulevardblatts Hamburger Morgenpost.
Entscheidender aber ist Vorkötters Abgang für die Belegschaft. Der Ende Februar gewählte Redaktionsausschuss hat morgen mal wieder einen Termin bei der Geschäftsleitung, um über die Einführung des Redaktionsstatuts zu verhandeln. Es enthält ein Veto-Recht der Redaktion bei Einstellung, vor allem aber auch bei geplanter Entlassung eines Chefredakteurs. „Ich denke, das können wir vergessen“, sagte gestern ein an der Formulierung des Statuts beteiligter Redakteur.
Wohin es den studierten Volkswirt Vorkötter, der das Statut ohnehin nur wegen der besonderen Situation dulden wollte, nun hinzieht, bleibt unklar. Das Gerücht, er wechsle zur Ulmer Südwest Presse, soll er jedenfalls grinsend dementiert haben.
Wichtiger für die Berliner Zeitung und den gesamten Verlag ist ohnehin, wer ihm nachfolgt. Vorkötters Stellvertreterin Brigitte Fehrle dürfte kaum durchsetzbar sein, da sie sich mit Vorkötter frühzeitig gegen die Neueigentümer positioniert hat. Bessere Chancen kann sich dagegen der andere stellvertretende Chefredakteur, Hendrik Munsberg, ausrechnen. Dem liege die „Vorgesetztenrolle“, heißt es in der Redaktion, außerdem habe er sich aktuell durchaus „karriereoffen“ gezeigt.
Die Belegschaft verhandelt derzeit über einen möglichst weitgehenden Schutz bei künftigen Rationalisierungsmaßnahmen. Was dabei herauskommt, ist ungewiss. Bestimmte Qualitäten sollte Vorkötters NachfolgerIn aber in jedem Fall mitbringen: „Das muss ein Schlachter sein, der jetzt kommt“, sagte gestern ein Mitarbeiter.
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