: Ein Mann seiner Zeit
Morgen würde Gerd Bucerius 100 Jahre alt. Der Verleger von „Stern“ und „Zeit“ stand immer im Schatten berühmterer Kollegen. Zu seinem Geburtstag tritt er ausnahmsweise mal aus ihm heraus
VON CHRISTIAN BARTELS
Ein schreibender Verleger, der für die Regierungspartei in den Bundestag gewählt wird und wichtige Positionen bekleidet? Zumindest so lange, bis sein auflagenstärkstes Blatt die Frage aufwirft, ob in der Hölle wirklich ein Feuer brennt? Das hat die damals sehr betont christliche CDU im Jahr 1962 so aufgewühlt, dass sie den „Nestbeschmutzer“ vertrieb, indem die ganze Fraktion wütend auf die Tische im Fraktionssaal trommelte. Unvorstellbar in der Gegenwart, in der Zeitschriftenverleger bei brand expansions mit line extensions allenfalls betriebswirtschaftlich ein wenig schillern. In den frühen Jahren der BRD, zu Zeiten Augsteins und Springers, gab es das. Die Rede ist von Gerd Bucerius, der jahrzehntelang Stern und Zeit verlegte. Heute könnte sein Name zumindest so bekannt sein wie die von Richard Gruner und John Jahr, wenn er bei der gemeinsamen Verlagsgründung 1965 nur größeren Wert auf Nennung gelegt hätte.
Am Freitag vor 100 Jahren wurde Bucerius geboren, dieser Tage wird der 1995 Gestorbene entsprechend geehrt: mit einem Sonderpostwertzeichen und einem Dossier in seinem Liebling Zeit (deren Verluste stets der Stern finanzierte, der unter Chefredakteur Henri Nannen vielen als „damals bedeutendste Illustrierte der Welt“ galt). Die gemeinnützige „Zeit-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius“ veranstaltet ein Symposium und hat eine Geburtstagsbroschüre publiziert, in der 14 Zeitzeugen dem Gründer 21 Laudationes widmen, was leider arg langweilig klingt. Alle Zitate stammen aus einer ARD-Dokumentation, die Bucerius heute Abend ebenfalls ehrt – und zum Glück wesentlich spannender ist.
Die Filmautoren Florian Huber und Knut Weinrich zeichnen chronologisch die Biografie des Mannes nach, dessen jüdische Frau 1938 nach London emigrierte, während er in Hamburg blieb und als Rechtsanwalt Juden verteidigte. Sicher hat die nach der Pressevorführung kontrovers diskutierte 60-Minuten-Doku Schwächen. So hätten die frühen Jahre der Zeit, die zunächst nicht so antifaschistisch war wie später behauptet, stärker durchleuchtet werden können. Der Film will manches offen und Bucerius seine Rätsel belassen, was sympathisch ist, sich aber schwer mit der Regieentscheidung verträgt, alles, was sonst nicht bebilderbar war, mit Schauspielern nachzustellen. Die werden auch durch Handkamera-Einsatz nicht authentischer und erinnern eher an die Guido-Knopp-Schule, die keine Rätsel kennt.
Solche inneren Unwuchten aber können produktiv sein. Auch das zeigt das Beispiel Bucerius, den Weggefährten als „emotional fast nie vorhandenen Intellektuellen“ schildern. Der vergessene Kinofilm „Mattanza – ein Liebestraum“, unter anderem mit Rolf Eden, den Ebelin Bucerius 1969 produzierte und dessen Premiere zum „Fiasko“ der zweiten Ehe wurde, trägt ebenso zur Spannbreite dieses spannenden Stücks Mediengeschichte bei wie Originalszenen mit Bucerius’ schneidender Stimme, die den Sound der Nachkriegsjahrzehnte auferstehen lässt. Und natürlich Aussagen von Zeitzeugen: „Er hatte wenig Sinn für Essen, und von Wein verstand er gar nichts“, trägt Michael Jungblut (Ex-Zeit-Wirtschaftschef und ZDF-„Wiso“-Moderator) bei. „So ein verrückter Kerl, das meine ich jetzt sympathisch“, sagt Gerd Schulte-Hillen über Bucerius. Der langjährige Gruner+Jahr-Chef ist inzwischen deutscher Partner von David Montgomery – dem Briten, der als erster Finanzinvestor im deutschen Pressemarkt (Berliner Zeitung, Hamburger Morgenpost) gerade eine völlig neue Ära einläutet, die mit Gerd Bucerius’ publizistischer Arbeit nur noch wenig gemein hat.
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