Weltweit größte Börsenfusion geplant

Die New York Stock Exchange will die 4-Länder-Börse Euronext übernehmen. Für die Deutsche Börse wird es eng. Sie steht im internationalen Konkurrenzkampf jetzt allein da. Von den weltweiten Spekulationen profitieren vor allem die Hedge-Fonds

von ULRIKE HERRMANN

Die Börsen verändern ihre Rolle: Früher waren sie nur Orte, an denen spekuliert wurde – jetzt werden sie zu Spekulationsobjekten. So werden die Börsen selbst zu den heißesten Titeln an den Börsen. Nun könnte der bislang größte Deal anstehen: Die New York Stock Exchange (NYSE) will die Börse Euronext übernehmen, die in Paris, Amsterdam, Lissabon und Brüssel vertreten ist. Sitz dieser neuen NYSE Euronext soll New York sein.

Das bedeutet: Die Deutsche Börse in Frankfurt steht ohne Partner da. Der Kurs brach gestern prompt um mehr als 6 Prozent auf 103,90 Euro ein. Denn für Konkurrent Euronext wäre es mit der NYSE möglich, rund um die Uhr mit Aktien zu handeln – dank der Zeitverschiebung. Gleichzeitig erwartet die NYSE, dass sich durch die Zusammenarbeit fast 300 Millionen Euro einsparen lassen. „Diese Fusion wäre aus deutscher Sicht sehr bedauerlich“, sagte Börsenexperte Wolfgang Gerke zur taz. Der Erlanger Professor sitzt selbst im Börsenrat der Deutschen Börse: „Wir stehen nun etwas allein da.“

Das Angebot der NYSE ist nur der letzte Zug in einem komplizierten Fusionsspiel, das die Börsen seit 2000 beschäftigt. Einer der Höhepunkte: Im Dezember 2004 versuchte die Deutsche Börse die London Stock Exchange (LSE) für knapp 2 Milliarden Euro zu übernehmen. Doch der britische Hedge-Fonds TCI organisierte einen Widerstand der Aktionäre; am Ende musste der Chef der Deutschen Börse, Werner Seifert, gehen. Davon profitierte die New Yorker Technologiebörse Nasdaq: So hält sie 25,1 Prozent an der LSE.

Dieser transatlantische Deal hat wiederum die NYSE unter Druck gesetzt, sich nun ebenfalls einen Partner in Europa zu suchen. Die New Yorker Börse bietet rund 8 Milliarden Euro für die Euronext – das entspricht knapp ihrem Börsenwert. Die Deutsche Börse teilte gestern mit, dass man kein Gegenangebot abgeben werde. Es bleibe bei der Offerte vom vergangenen Freitag. Letzte Woche hatte die Deutsche Börse eine „Fusion unter Partnern“ vorgeschlagen.

Die Hauptstreitpunkte mit der Euronext wurden allerdings nicht ausgeräumt: Die Hauptverwaltung und die meisten Vorstandsbüros sollen weiterhin in Frankfurt bleiben. Auch will die Deutsche Börse nicht auf ihre sehr profitable Tochter Clearstream verzichten, die die Abwicklung der Wertpapiergeschäfte übernimmt. Eine Euronext-Sprecherin konterte daher am Freitag: „Nichts Neues“.

Heute treffen sich die Aktionäre der Euronext zur Hauptversammlung in Amsterdam, um über mögliche Fusionen zu beraten. Gerke erwartet allerdings keine konkreten Ergebnisse: „Die Euronext wird weiterpokern.“ Das Problem für die Vier-Länder-Börse: Sie könnte vom Deal mit der viel größeren NYSE wenig haben. „Die Euronext würde untergebuttert“, prognostiziert Gerke. „Das wäre nur ein schöner Titel.“

Dennoch sind die permanenten Gerüchte über mögliche Fusionen nicht folgenlos. Sie treiben die Kurse für die Börsen weltweit. Beispiel Deutsche Börse: Anfang 2005 kostete eine Aktie der Deutschen Börse rund 45 Euro; inzwischen ist ihr Preis mehr als doppelt so hoch – trotz der Kurseinbrüche von gestern.

Gewonnen haben dabei vor allem die Hedge-Fonds, die meist gleich an mehreren Börsen beteiligt sind. So halten sie rund 30 Prozent der Euronext-Aktien. Die Fonds stehen allerdings vor einem Problem: Es ist kaum anzunehmen, dass die Börsenkurse weiter so rasant steigen. Also muss Kasse gemacht werden, wenn die Rendite stimmen soll. Doch lassen sich große Aktienpakete nicht einfach verkaufen, ohne dass der Kurs leidet. Nur eine Fusion kann den Wert der eigenen Aktienpakete noch steigern. So waren es denn auch die Hedge-Fonds bei der Euronext, die die NYSE aufgefordert haben, ein Angebot abzugeben. Gerke konstatiert: „Da ist viel Fusionsfantasie in den Börsenkursen.“

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