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„Nicht über uns ohne uns“

PLENUM Das Behindertenparlament trifft sich am internationalen Tag der Behinderung

Florian Grams

■ 39, Präsident des Behindertenparlaments. Er ist Historiker und promoviert über den kommunistischen Schulpolitiker Edwin Hoernle.

taz: Herr Grams, was wird das Top Thema der morgigen Parlamentssitzung?

Florian Grams: Die Inklusion. Bremen muss die UN-Behindertenrechtskonvention mit einem lokalen Aktionsplan umsetzen. Vornehmlich wird es darum gehen, wie der ausgerichtet sein soll.

Wo ist der größte Handlungsbedarf?

Es fehlt an barrierefreiem Wohnraum, auch sind etliche Fußgängerwege nicht barrierefrei. Der Bahnhofsplatz macht insbesondere Menschen mit einer Sehbehinderung täglich Angst. Auch in den Werkstätten liegt einiges im Argen.

Worum geht es bei den Werkstätten?

Um die Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten, es fehlen Frauenbeauftragte. Frauen mit Behinderung gelten in erster Linie als Behinderte und erst dann als Frau – hier setzt sich ein altes Behinderten-Bild durch, das vom Geschlecht abstrahiert. Auch stellt sich die Frage der ökonomischen Absicherung: Die Beschäftigten der Werkstatt Bremen arbeiten nach wie vor für einen sehr geringen Lohn. Das alles werden wir diskutieren und hoffentlich Verbesserungen beschließen.

Und alles in leichter Sprache?

Weitestgehend, ja. Alle TeilnehmerInnen haben die Möglichkeit bei schwerer Sprache eine rote Karte zu zeigen. Dann sind alle gehalten, es einfacher zu formulieren.

Müsste nicht eigentlich das Ziel sein, nur noch ein inklusives Parlament zu haben…

Ja! Das hieße aber, dass die Bremische Bürgerschaft entsprechend der Verteilung in der Gesellschaft zu mindestens zehn Prozent mit Menschen mit Behinderung besetzt wäre – und das ist bei weitem noch nicht so.

Woran liegt es, dass Menschen mit Behinderung politisch so unterrepräsentiert sind?

Sehr lange wurden Menschen auch mit nicht so schweren Behinderungen aus der Öffentlichkeit ausgegrenzt. Es hat gedauert, bis wir uns als Menschen mit Behinderung überhaupt auf die Straße getraut haben und auch das Selbstbewusstsein hatten, für uns aktiv zu werden und zu sagen, dass wir selbst für uns reden und entscheiden. Für das Parlament gilt nun das Gleiche, wie für die ganze Gesellschaft: Nicht über uns ohne uns. Interview:jpb

10 Uhr, Bremische Bürgerschaft

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