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In der Leere liegt die Kraft

Ärgernis oder autonome Gestaltung des öffentlichen Raumes? Graffiti beschäftigen Stadtreinigung und Philosophen gleichermaßen. Das Hamburger Graffiti-Festival End2End bringt jetzt die Stimmung der Straße ins Kino und in die Galerie

„Graffiti sind ein immanent politisches Phänomen, ein Mitgestalten der urbanen Umwelt von den Rändern“

von MAXIMILIAN PROBST

Erst ist es ein Summen, dann ein Rattern und plötzlich schießt der Farbblitz dröhnend aus dem Tunnel: grell leuchten die riesigen, den Zug von oben bis unten, von vorne bis hinten überwuchernden Buchstaben im Grau der Stadt.„End2End“ werden diese Graffiti genannt oder „whole-train“. Zu sehen sind sie immer seltener: Die bemalten Züge kommen immer schneller in den „Buff“ – wo die Sprühfarbe mit einem Büffelleder-Reinigungsmittel entfernt wird.

Bilder aus besseren Tagen und anderen Welten, als die Graffiti noch weniger konsequent verfolgt wurden, zeigt jetzt das Festival End2End. Eine Filmreihe verfolgt Ursprünge, Entwicklung und globale Ausbreitung des Graffiti-Phänomens. Den Schwerpunkt bilden die Städte New York, Amsterdam, Paris. Aber auch nach Bogota, Sydney, Cuba und den Senegal hat es die Filmemacher verschlagen. Dokumentationen der Hamburger Szene runden das Programm ab. Begleitet wird die Filmreihe von Ausstellungen, Aktionen und Vorträgen im Kunst- und Kulturverein Linda auf Sankt Pauli.

Entgegenwirken möchten die VeranstalterInnen damit falschen und verzerrten Darstellungen von Graffiti in Gesellschaft und Medien. Statt von Vandalismus zu reden, solle man Graffiti als ein künstlerisches, „ausdrucksstarkes Phänomen unserer Zeit“ betrachten, eines, das aber „immanent politisch“ ist, wie Bianca Ludewig präzisiert, „weil es im öffentlichen Raum stattfindet“.

Aus ihrer Perspektive ist Graffiti ein „Mitgestalten der urbanen Umwelt von den Rändern“, in dem sich das „autonome Bestreben“ der Sprayer niederschlage. Kurz: Die Schriftzüge bergen in sich den Protest, die Stimmen derer, die ausgeschlossen sind.

Das radikal Neue und zugleich Missverständliche an den Graffiti liegt darin, dass sie keinen Inhalt transportieren. Häufig sind es nur sinnlose Buchstabenfolgen oder Namen, die für nichts stehen wie BASIK, SHOE, PHASE. Am Anfang der Bewegung in New York waren es die Pseudonyme der Sprayer mit ihren Hausnummern: Moon173. Wie kann man darin einen Protest sehen? Und nicht einen Egotrip?

Für den französischen Philosophen Jean Baudrillard ist es aber gerade die Leere, die ihre Kraft ausmacht. Er liest im Graffiti „einen Aufstand der Zeichen“, der gegen die auf Verwertbarkeit zielende symbolische Ordnung der Werbung und Medien gerichtet sei, gegen die herrschenden Codes. Das Phänomen Graffiti reflektiere einen historischen Wandel: Denn Ungleichheit manifestiere sich heute nicht mehr in Produktionsverhältnissen, sondern in Kommunikationsverhältnissen. An die Stelle der Fords sind heutzutage die Berlusconis getreten.

Ob nun Kunst, Protest, oder beides: der Hamburger Senat ist zum Entschluss gekommen, dass Graffiti im Stadtbild nichts zu suchen hat: „Hamburg saubere Stadt“ heißt es in den Werbebroschüren. Im Fokus des dazugehörigen Handlungskonzeptes stehen Hunde und Graffiti-Sprayer. Sollen einmal „Gassi-Beutel“ Abhilfe schaffen, sind es das andere Mal repressive Maßnahmen: Wer illegal sprüht, malt oder klebt, kann seit der „Verordnung zur Bekämpfung von Vandalismus durch Graffiti“ vom 11. September 2003 ein Bußgeld bis zu 5.000 Euro erwarten. Von Seiten der Polizei haben die Sprayer mit Festnahmen, Vernehmungen und Wohnungsdurchsuchungen zu rechnen. Um ihnen auf die Spur zu kommen, werden Videoüberwachung, Farb-, Schrift-, und Fasergutachten ins Feld geführt. Selbst für DNA-Analysen ist man sich nicht zu schade.

Schöner sind da schon die präventiven Maßnahmen. Angesichts der bunten Bedrohung haben Senat und Polizei ihr grünes Händchen entdeckt: gefährdete Wände sollen durch Kletterpflanzen für Sprayer „unattraktiv gestaltet“ werden. Empfohlen wird auch eine eigene vorauseilende Bemalung. Denn Sprayer hätten immerhin Respekt vor den Werken anderer. Zudem werden Hauseigentümer finanziell bei der Entfernung von Graffiti unterstützt.

Von einer „verschärften Lage seit dem Regierungswechsel allgemein und durch die WM im Besonderen“ spricht auch Bianca Ludewig. So seien bereits alle Graffiti an den Schienen der Strecken Richtung Stadion entfernt worden. Dass allerdings beim Entfernen „buff-marks“ bleiben, also weiße Schatten und Schemen, die vom vormaligen Graffito zeugen, erweist sich den Anhängern zunehmend als Trost. Man kann sie als abstrakte Kunst lesen – ähnlich jenem Werk von Robert Rauschenberg, das eine ausradierte de Kooning-Skizze zeigt. Man kann sie aber auch mit Freud als das urbane Unbewusste interpretieren: Die unauslöschbaren Spuren erinnern ans Verdrängte.

Das Festival beginnt am 2. Juni in der Galerie Linda und endet am 8. Juni mit einer Party im Hafenklang. Die dazugehörige Filmreihe läuft im Kino 3001. Informationen unter www.colortrip.com/end2end

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