: Ein dickes Problem
DISKRIMINIERUNG Übergewichtige Menschen haben es schwer auf dem Arbeitsmarkt. Vorurteile und gesundheitliche Probleme machen ihnen das Leben schwer. In Hamburg soll nun ein Kurs diese spezielle Gruppe fit für den Arbeitsmarkt machen
VON NIELS HOLSTEN
„Specken Sie erstmal ab, dann sehen wir weiter.“ Diesen Spruch hat Uwe T. bei seiner Suche nach Arbeit mehr als einmal zu hören bekommen. Der 52-jährige Fotograf wiegt 150 Kilo bei einer Größe von 1,83 Meter. „Dick sein, ist für viele ein Synonym für Faulsein“, sagt Uwe T., „die Leute meinen, dass man sein Leben nicht im Griff hat.“ Außerdem glaubt er, dass viele einfach keine dicken Mitarbeiter mögen: „Wahrscheinlich passen Dicke nicht zur Corporate Identity von Unternehmen.“
Uwe T. war lange selbständig tätig und kennt diese Diskriminierungen auch von seiner Suche nach Auftraggebern. Hinzu kam der Jugendwahn seiner Branche: „Ab 30 giltst du schon als alt.“ Dabei war Uwe T. nicht schon immer so übergewichtig. Noch 2005 lief er seinen letzten Marathon. Doch der berufliche Stress, viel Nachtarbeit und die Vereinsamung als Freiberufler haben zu der Gewichtszunahme geführt. Mit steigendem Alter und Gewicht blieben die Aufträge weg.
Bei aller Kritik an der Diskriminierung von dicken Menschen – gesund ist Dicksein nicht. Adipöse Menschen, also die krankhaft Fettleibigen, haben ein erhöhtes Risiko für Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, und auch für bestimmte Krebsarten. Als adipös gelten Menschen ab einem Body-Mass-Index (BMI) von mehr als 30 kg/m[2]. Ein steigendes Problem weltweit und auch in Deutschland. Laut einer aktuellen Studie des Robert-Koch-Instituts sind 18,9 Prozent der Männer und 22,5 Prozent der Frauen in Deutschland adipös.
Uwe T.s BMI lag bei annähernd 45 kg/m[2]. Er war gesundheitlich angeschlagen und musste einsehen, dass etwas passieren muss. Sein Arbeitsvermittler machte ihn auf einen Kurs aufmerksam, den die Grone Schule erstmals in diesem Jahr angeboten hat: „XXL – aktiv sein und Stärke zeigen“. Seit Anfang Mai treibt der 52-Jährige nun jeden Morgen von 8.30 Uhr bis mittags Sport. Zusammen mit 15 anderen übergewichtigen Arbeitslosen. Im Fitnessclub werden Muskeln aufgebaut und die Ausdauer trainiert. Am Nachmittag erklären Ernährungsberater wie gesundes Essen funktioniert und Arbeitsmarktexperten geben Bewerbungstraining.
„Der Kurs ist personell sehr intensiv ausgestattet“, sagt Christian Alder, der den Kurs als Projektleiter konzipiert hat. Ein Team aus Pädagogen, Psychologen, Ernährungs- und Arbeitsmarktexperten beschäftigt sich mit den Teilnehmern. Die kommen laut Alder aus allen Berufsgruppen: „Vom Doktor bis zum Lagerarbeiter ist alles vertreten.“
Auf Kritik, wie sie zum Beispiel aus Arbeitslosen- oder Dickeninitiativen kommt, dass Kurse wie dieser Diskriminierung nicht bekämpften, sondern verstärkten, reagiert der 33-Jährige gelassen: „Übergewicht ist ein Vermittlungshindernis, darauf haben wir reagiert.“ Das Angebot sei wertneutral und freiwillig. Niemand werde gezwungen, hier teilzunehmen. Es sei außerdem sehr darauf geachtet worden, dass die Sprache diskriminierungsfrei ist. „Wir wollen mit diesem Kurs den Grundstein für eine Lebensumstellung legen“, sagt Alder. „Wir sind zwar keine Rehaeinrichtung, es könnte aber ein erster Schritt in ein gesünderes Leben sein.“
Zwei Kurse, im April und im Mai sind schon angelaufen, ein dritter, im September geplanter, musste mangels Teilnehmer gestrichen werden. Alder erklärt das mit Budgetkürzungen bei der Arbeitsagentur seit Mitte des Jahres: „Die Jobcenter stellen nicht mehr so viele AVGS, Aktivierungs- und Vermittlungsgutscheine aus.“ Mit diesen Gutscheinen kann sich der Arbeitssuchende selbst eine für ihn geeignete Maßnahme suchen. Der nächste Kurs ist nun für den Februar 2014 geplant. Er läuft dann über neun Monate und endet mit einer Abschlussprüfung.
Uwe T. jedenfalls hat die Teilnahme gut getan. Seit Mai hat er 28 Kilo abgenommen. „Ich bin wieder beweglicher und mein Selbstbewusstsein hat zugenommen“, sagt er, „insgesamt ist meine Performance besser.“
Jetzt sei es wichtig, dranzubleiben. „Wenn man wieder alleine im Alltag angekommen ist,wird es schwierig, die Motivation aufrecht zu halten.“ Deshalb hilft es, den Kontakt zu den anderen Teilnehmern aufrechtzuerhalten. In seiner Gruppe seien „verlässliche Kontakte entstanden“. Nach Beendigung des Kurses will er sich wieder in die Selbständigkeit stürzen – fotografieren und Kurse in Digitalfotografie und Bildbearbeitung geben. Und wenn er doch wieder auf die alten Vorurteile trifft? „Ich denke, ich kann den Anfeindungen nun besser begegnen“, sagt Uwe T..
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