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der homosexuelle mann … von ELMAR KRAUSHAAR

… entdeckt den Osten. Genauer: die soziale und politische Lage homosexueller Frauen und Männer in den Ländern des einstigen Ostblocks. Denn dass attraktive Jungs im Osten billig zu haben sind, das haben westliche Schwule schon gleich nach der großen Wende ausgemacht.

Seit den frühen Neunzigerjahren durchkämmten die Pornofilmer ein Land nach dem anderen. Die Tschechen kamen als erste dran, es folgten die Polen, die Balten, dann russische Rotarmisten und sibirische Jugendliche, Zigeunerjungs aus Rumänien, Muskelpakete aus Ungarn, Landburschen aus Bulgarien. Keine Region blieb verschont, die Akteure waren billig, zu jedem Spielchen bereit und bestanden nicht auf Safer Sex und Kondome und einen fairen Umgang bei der Arbeit. Heteros mimten Schwule und umgekehrt – egal, geliefert wurde, was gefragt war. Die materielle Not und der hungrige Blick nach Westeuropa ließen viele aushalten, was sie vorher nicht für möglich hielten. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Die schwule Pornoindustrie agierte exakt genau so wie die heterosexuelle.

So lernten die Schwulen hierzulande den Osten Europas kennen, als einen neuen Fleischmarkt, mit unverbrauchten Gesichtern und einer fast authentischen Lust. Der weltweit größte schwule Pornomarkt, die USA, hat sich inzwischen ganz der Szene Budapests und Moskaus bemächtigt, und die Engelsgesichter der tschechisch-slowakischen Produktionsfirma „Bel Ami“ werden bei den Konsumenten gehandelt wie Popstars, der „Bel Ami“-Film „Ein Amerikaner in Prag“ gilt als meistverkaufter Schwulenporno aller Zeiten.

Nun also ist die Misere dran, die katastrophale Menschenrechtslage der Homosexuellen im Osten. Die ist so miserabel wie schon vor 15 Jahren. Doch offenbar erst jetzt ist hierzulande der Blick dafür frei, dank einem relativ gesicherten Minderheitenstatus mit Homo-Ehe und einem Antidiskriminierungsgesetz, das bald kommt. Hunderte deutscher Lesben und Schwulen machen sich in den nächsten Tagen auf nach Warschau, um den Homosexuellen dort bei ihrem gefährdeten CSD-Aufmarsch beizustehen.

Und die westlichen Medien haben erst registriert, dass Lesben und Schwule im Osten nichts zu lachen haben, als Blut floss – das Blut des Grünen-Politikers Volker Beck. Der wurde bei einer Schwulendemo in Moskau verprügelt, und pflichtschuldig musste das Drumherum erklärt werden. Bis nach Becks Rückkehr der innenpolitische Schlagabtausch wieder in den Vordergrund rückte: Ist Beck ein Held oder hat er selber Schuld an seinen Blessuren? Der Verbleib der russischen Demonstranten, die ebenfalls verprügelt und inhaftiert wurden, bleibt uninteressant und ungeklärt.

Da lässt sich nur hoffen, dass bei der kommenden Reise nach Warschau das eigentliche Problem nicht wieder aus dem Blick gerät. Wie in Moskau und wie bereits im vergangenen Jahr, als Polens Lesben und Schwule versuchten, einen CSD-Marsch auf die Beine zu stellen und dabei von den deutschen Grünen-Politikern Beck und Claudia Roth begleitet wurden. Das Ergebnis damals schon: Prügeleien und Verhaftungen, berichtet wurde aber nur über die deutschen Gäste kamerakompatibel vorneweg.

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