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portraitDer unfassbare König des Waldes

JJ1 heißt nun „Bruno“, Vater Joze und Mutter Jurka bekannt, Geburtszeit und -ort registriert. Warum aber tut er, was er tut? Schafe reißen, Hühner morden, Bienenstöcke plündern? Er habe, sagen Experten, von der Mama gelernt, dass Nahrung in der Nähe menschlicher Siedlungen leichter zu erlangen sei als in einsamen Wäldern. Und auch, dass es besser sei, danach schnell zu verschwinden, weil sonst Ärger droht. Der Braunbär ist ein anpassungsfähiger Allesfresser.

Kanadier wissen das. Sie haben sich mit den Bären arrangiert, die ihre Vorräte aus Zelten und Mülltonnen plündern. Weltweit soll es noch rund 200.000 Tiere geben. Europäische Braunbären sind, wie ihre größten Vettern, die nordamerikanischen Grizzly- und Kodiakbären, wanderfreudige Einzelgänger, die Beeren, Knollen, Pilze, Insekten, Fische und Aas fressen. Der Fang eines größeren Säugetiers gelingt selten.

Ehe er zu Teddy, Petzi oder Pu mutierte, war Ursus arctor in der Kulturgeschichte eine Ehrfurcht gebietende Erscheinung. Sprachforscher leiten die Namen der keltischen Götter Artaios und Artio von der indogermanischen Wurzel „arkt“ ab. Bär wiederum habe einst in Germanien „Bruno“, der Braune, bedeutet, eine Umschreibung, die vermied, dem gefürchteten Tier einen Namen zu geben, durch den es herbeigerufen werden könnte. Slawen wählten dazu „Honigfresser“.

Die Vorfahren jener finnischen Hundeführer, die jetzt mit ihren schwarzen, 1936 erstmals gezüchteten Karelischen Bärenhunden Bruno jagen sollen, verehrten die Bären als „Könige des Waldes“. Helden, Ritter, Heilige, Karelien, Kalifornien, Berlin, Bern, Sachsen-Anhalt, Papst Benedikt XVI. führen sie im Wappen. Die Errettung osteuropäischer und vorderasiatischer Jahrmarktsbären von Nasenring und Gefangenschaft rührte die Herzen der Menschen ebenso wie es sie empörte, dass ein hessischer Tierpark seine Bärenbabys regelmäßig an ein Frankfurter Feinschmeckerlokal lieferte. Brunos Vorgänger Nurmi wurde in Österreich 1994 erschossen und sorgte durch seinen Tod für einen Bären-Sympathieschub.

Wenn Bruno erlegt würde, wäre er nur ein Fall für die Tierkörperverwertungsanstalt. Dabei ist alles an ihm verwendbar: Tatzen und Schinken als Delikatesse, Fell, Krallen, Zähne als Bettvorleger und Schmuck. Die Römer schworen auf Bärenmedizin: Fett, Galle, Blut, Hoden. In China würde seine Gallenblase hoch gehandelt. Das könnte ihm erspart bleiben, wenn er sich durchschlägt bis Leipzig. Dort hielten Tierfreunde 1989 eine Andacht für zwei im Zoo eingeschläferte alte Braunbären. Frankfurt sammelt noch für ein angemessenes Gehege.

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