: Goodbye, „Kreml“!
POTSDAM Nach 22 Jahren steigt die Brandenburger Politik vom Brauhausberg herab. Impressionen vom Umzug des Landtags
■ Von 1991 bis 2013 residierte der Brandenburgische Landtag im sogenannten Kreml auf dem Potsdamer Brauhausberg. Das große Ensemble mit rund 400 Büros bot damals als einziges Gebäude in der Stadt Platz für den neuen Plenarbereich und die 88 Abgeordneten, ihre Mitarbeiter sowie die Landtagsverwaltung.
■ Das 1902 als Königlich-Preußische Kriegsschule erbaute Gebäude erhielt nach dem Zweiten Weltkrieg seinen Spitznamen „Kreml“, beherbergte es doch bis 1948 die sowjetische Militäradministration und von 1949 bis 1990 zahlreiche Abteilungen der bezirklichen SED-Spitze.
■ 2005 beschloss der Brandenburgische Landtag nach langer und strittiger Debatte den Neubau des Parlamentssitzes und die Aufgabe des „Kreml“. Im Februar 2011 wurde der Grundstein für das neue Landtagsgebäude am Alten Markt und in Form des rekonstruierten Potsdamer Stadtschlosses gelegt. Am 22. Januar 2014 findet hier die erste Landtagssitzung statt.
VON ROLF LAUTENSCHLÄGER
Elke Kaiser steht in ihrem Büro im dritten Stock des Brandenburgischen Landtags und ist leicht verzweifelt. „Die Aufkleber halten nicht“, sagt sie und zeigt auf die Umzugskartons und Boxen, die sich im Vorzimmer der Finanzabteilung der SPD-Fraktion stapeln. Das Umzugsteam im Haus soll noch einmal her und mit neuen „Zielaufklebern“ helfen. Auch ob die Kartons für die riesigen Zimmerpflanzen reichen, macht der SPD-Frau Sorgen. Denn: „Die Kakteen müssen auf jeden Fall mit.“
Ein paar Zimmer weiter hat Matthias Platzeck, der frühere Ministerpräsident wie alle Abgeordneten sein Büro ausgemistet. Viel hat sich bei ihm nicht angesammelt, Platzeck ist erst seit dem Sommer zurück in der SPD-Fraktion und hört 2014 „politisch ganz auf“, wie er en passant mitteilt. Andere sind engagierter: Den Roten Adler aus dem Plenarsaal hat Landtagspräsident Gunter Fritsch eigenhändig abgenommen. Viele Büroutensilien, besonders bei der CDU, lagern bereits komplett in Kartons. Ein paar wenige Abgeordnete lassen den Umzug aber noch schleifen. Die Pressestelle der Grünen-Fraktion läuft auf „Normalbetrieb“. 10 bis 15 Kartons sind pro Büro kalkuliert, 5.000 insgesamt für die fast 400 Büroräume. Hinzu kommen weitere 1.000 Kartons für die Bücher und Medien der Bibliothek.
Es riecht nach Altpapier und Muff im „Kreml“, wie die Potsdamer den burgartigen Landtagsbau – einst Preußische Kriegsschule, später Sitz der SED-Kreisleitung – auf dem Brauhausberg nennen. Seit Tagen brummt es im ganzen Haus wie in einem Bienenstock. Der Umzug hinunter ins rekonstruierte Barockschloss am Alten Markt ist „eine Gemeinschaftsaktion“ aller fünf Fraktionen samt der Verwaltung, wie Katrin Rautenberg, Landtagssprecherin erläutert.
Mit Muskeln und Rutschen
Rund 350 Personen, die Mitarbeiter vom Hausmeister bis zur Direktion, das Präsidium, alle 88 Abgeordneten und Referenten, die Praktikanten und Hilfskräfte packen selber ein und stapeln die Kisten in ihren Büros, in den Fluren und Kellerräumen. Fraktionsräume, Plenar- und Präsidialbereiche werden auf den Kopf gestellt, Bilder von der Wand genommen, Schränke geleert. Was nicht mehr gebraucht wird, wandert in schwarze Müllsäcke. Den Abtransport erledigen ab heute zwei, drei Dutzend Packer mit Muskelkraft, mobilem Gerät und mit Rutschen von den oberen Stockwerken – die Räumung der Büros, der Bibliothek und die Demontage der Rechner inklusive.
Es kommt nicht jeden Tag vor, dass ein gesamtes Parlament umzieht. Ausnahmen, wie der Umzug des Bundestags von Bonn nach Berlin oder die Übersiedlung des Berliner Abgeordnetenhauses in den Preußischen Landtag, bestätigen diese Regel. Der Umzug des Brandenburgischen Landtags symbolisiert zugleich eine politische und eine räumliche Zäsur in Potsdam: Statt im ungeliebten Kreml zu bleiben, entschied das Plenum 2005, das von der SED gesprengte Preußenschloss in der Stadtmitte zu rekonstruieren und ab 2014 als Landtag zu nutzen.
Die umstrittene Identifikation mit den Chiffren der Vergangenheit ist momentan Nebensache. Das Rennen gegen die Zeit beherrscht die Köpfe der „Noch-Bewohner“ und Umzugsstrategen des Kreml: „Der Umzug findet von diesem Donnerstag bis zum kommenden Montag statt. Die Server werden am Donnerstag ab 11.30 Uhr heruntergefahren, ab 15.00 Uhr müssen die Kartons komplett gepackt sein. Anschließend müssen die Abgeordneten und alle Mitarbeiter ihre Schlüssel abgeben. Dann rollen die Umzugswagen.“ Die Telefonleitungen des Landtags sind ab dann quasi tot. Am 16. Dezember, dem kommenden Montag, sollen die Systeme im neuen Gebäude wieder hochgefahren werden. Dann ist der Brandenburger Landtag umgezogen.
Roman Markmann hat nicht nur als Beauftragter den Haushalt des Landtags mit 38 Millionen Euro unter sich, er koordiniert mit zwei weiteren Mitarbeitern und Verwaltungschef Hartmut Mangold den Umzug. Zwei Tage vor dem großen Ritt in die 400 neuen Büros sitzt Markmann recht entspannt an seinem Schreibtisch und serviert Advents-Schokolade. „Das ist doch ein vergleichsweise kleiner Umzug“, lächelt er. „Es geht doch nur darum, wie man Kisten von A nach B bekommt.“ Das ist natürlich nur die halbe Wahrheit, denn Markmann selbst ist bisher kaum dazu gekommen einzupacken. Seit Tagen macht er quasi einen 24-Stunden-Job. Das Understatement bedeutet: Es sieht okay aus, ich und meine Helfer haben ganz gut gearbeitet bisher.
Ein learning by doing sollte die Sache nicht werden, versichert Markmann. Wie eine Umzugslogistik funktioniert, hat er sich angeschaut: „Als der Landesrechnungshof in Potsdam für die Sanierung sein Gebäude räumen musste und wieder bezog, haben wir gefragt: Wie habt ihr das gemacht? Wie sieht ein Konzept dafür aus?“ Als die Fertigstellung des Schlossneubaus feststand, wurden im August 2013 das Umzugsprogramm erarbeitet, das Vergabeverfahren für die Spedition ausgelobt sowie ein 12-seitiger „Umzugsleitfaden“ erstellt und an alle Beschäftigten und Fraktionen ausgegeben. Darin ist die Dramaturgie des Umzugs minutiös aufgeführt. Auch wer als Letzter das Licht am Brauhausberg ausmacht, kriegt – idiotensicher – seine Informationen.
Rund 35.000 Euro koste der Umzug, so Markmann. Ein ganz guter Preis, wie er meint, auch weil die Umzugskonvois der Firma Grohmann Logistik nicht wochenlang durch die Stadt donnern müssen: „Das gesamte Mobiliar bleibt vor Ort.“ Alle Regale, Schränke, Schreibtische, Stühle bis hin zur Teeküche im Schloss sind neu.
Natürlich hakt es hier und da. Eine Umzugsbesprechung folgt der nächsten. Es gibt Kisten, die so vollgepackt sind, dass Gewichtheber gefragt sind. Karl-Heinz Wagner, Ko-Umzugskoordinator, kommt ins Büro, weil Luftpolster-Folien zum Packen großer Bilder fehlen. Wahrscheinlich muss auch die „Kartonreserve“ ausgepackt werden.
Und Wehmut begleitet den Umzug: Sicher, es gibt viele, die sich auf den neuen Landtag, bessere Arbeitsbedingungen und die schönere „Schloss-Kantine“ freuen. Parkplätze seien zwar Mangelware in der Tiefgarage und die Büros kleiner als im Kreml, wie Susanne Zager oder Anke Robert, Referentinnen in der SPD-Fraktion, schon herausgefunden haben. Aber der neue Standort sei doch „perfekt“, weil er mitten in der Stadt liege. Frauke Zelt von den Grünen oder Sylvia Lehmann, sozial- und umweltpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, sind da skeptischer, ob sie sich gleich mit dem neuen Landtag in Altrosa anfreunden werden. „Ich merke, dass ich an dem alten Gebäude hänge“, trauert Lehmann. Das sei wie ein Stück Parlamentsgeschichte in Brandenburg für sie geworden. Seit 2004 gehört Lehmann dem Landtag an, das sind fast zehn Jahre im Kreml. Dass sie erst wenig gepackt hat, hat also seinen Grund.
Bisky an der Wand
Im Stockwerk darunter hängt eine Ausstellung mit Fotografien von Lothar Bisky: Bisky beim Fußball, mit Andreas Dreesen, mit Freunden beim Plausch. Der langjährige Parteiboss der Linken starb kürzlich. Man hat hier nicht den Eindruck, dass es die Linken-Fraktion drängt, die Bilder abzuhängen. Viele Abgeordnete kritisierten den Schlossneubau, der Kreml war und ist ihnen trotz Feuchtigkeit und bollernden Heizungsrohren lieber.
Richtig „sauer“ wegen des Umzugs ist Frank Heck, Referent für Haushaltsfragen. Die Büros im Schloss seien zu klein, es fehle an Platz für Unterlagen, zudem sei es laut. „Die Straßenbahn rumpelt, und alle paar Minuten rennen Touristengruppen am Fenster vorbei. Hier hatte ich Ruhe zum Arbeiten. Schade.“
Ab Montag ist der Kreml Geschichte. Bereits jetzt sucht der „Brandenburgische Landesbetrieb für Liegenschaften“ neue Nutzer oder Käufer. Bisher hat sich noch niemand gemeldet. Oder doch Dornröschen?
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