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Gelage am grünen hohen Ufer

Hannovers Reize liegen im Verborgenen und im Grünen. Entdecken Sie die Plätze der Stadt, an denen man unter schattigen Bäumen mit hunderten von Menschen selbst organisierten Fußballfreuden umsonst und draußen nachgehen kann

von JÖRG HEYNLEIN

„Menschen für die WM zu begeistern, darin ist Hannover Spitze … Am 7. Juni eröffnet das Fan Festival l die große Fußballparty in Hannover. Jetzt steht auch der genaue Ablauf dieses einmaligen Ereignisses, bei dem Künstler wie die Scorpions, Mousse T. und Fury In The Slaughterhouse auftreten, fest“, heißt es auf den Internetseiten der Stadt Hannover.

Keine WM hat für uns Deutsche jemals mehr zur kulturellen Annährung und Völkerverständigung beigetragen wie die aktuelle im eigenen Land. Ein gemeinsamer Nenner, der massenhaft zu Verbrüderungen und Verschwesterungen führen wird, verbindet alle Fans: Sie lieben das Spiel und die WM als Feier. Und sie haben in Massen eines nicht: Karten. Somit wird diese WM ein Großereignis, an dem die Fans auf Balkonen und Terrassen, in den Biergärten, Kneipen und auf den Straßen teilnehmen. Gut für die, die es nach Hannover verschlägt.

Zunächst zu einem Trinkritual, dem sich jeder Reisende, gleich ob Gast, Funktionär oder Spieler, öffnen sollte, der sich der WM-Stadt Hannover aka „Expo-2000-Stadt“ nähert. Das erfordert Konzentration: Zwischen Daumen und Zeigefinger ein kleines Glas obergäriges Schankbier (2,8 Prozent) auspendeln. Dahinter – gleiche Hand – zwischen Ring- und Mittelfinger ein Schnapsglas gefüllt mit grenzwertigem Korn balancieren. Lockere Körperhaltung einnehmen, bequem breitbeinig stehen, freie Hand in die Hüfte stemmen.

Gefüllte Gläser langsam in Richtung Mund führen. Das Bierglas angesetzt und die Hand langsam so drehen, dass der Korn aus dem hinteren Glas in das vordere läuft, beide Flüssigkeiten sich vermischen und zusammen auf Ex getrunken werden können. Absetzen, ein Geräusch der Erleichterung ausstoßen, die Anfangsüberwindung abschütteln – und so lange wiederholen, bis die Routine über die anfänglichen Versagensangst gesiegt und das Gebräu seine Wirkung getan hat. Sofort stoppen, wenn der Magen droht, seinen Inhalt durch die Speiseröhre schwallartig nach draußen zu katapultieren.

Sollten die in Hannover spielenden Mannschaften und ihre mitgereisten Fans aus Angola, Italien, Ghana, Mexiko, Costa Rica, Polen, Schweiz und Südkorea aus irgendwelchen Gründen frühzeitig WM-frei haben, so sollten sie sich diese ortstypische Köstlichkeit „Lüttje Lage“ unbedingt durch den Kopf gehen lassen. Denn zu Hause gibt’s nur das Übliche: Wodka, Absinth, Poncha oder Centenario-Rum. Und Schmährufe, wenn das Ausscheiden ruhmlos war.

Allerdings nicht im Stadion. Doch warum soll es den Hannoveranern und ihren WM-Gästen besser ergehen als ihren Leidensgenossen in den anderen Austragungsorten? Gerade 1,375 Prozent der deutschen Bevölkerung wird sich die 64 Spiele der besten Fußballmannschaften der Welt in den Stadien anschauen können. Der Rest muss sehen, wo er bleibt. Draußen. Und da ist er gut dran im ehemaligen Austragungsort der WM 1974.

Für die meisten ist Hannover eine graue Maus, die ihre Reize wenig wirksam zur Schau stellt. Manche bezeichnen Hannover gar als geheimnisvoll, weil die Bewohner angeblich alles dafür tun, den Ruf ihrer Stadt zu schmälern, damit andere nicht erfahren, wie lebenswert es dort ist. Der Stadt mangelt es nicht an Attraktionen. Darum vielleicht auch die vor Kaufhäusern ächzende Fußgängerzone der Innenstadt als abschreckendes Angebot an Durchreisende.

Angeblich ist keine Fußgängerzone in Deutschland größer. Die Stadt und ihre Vermarkter geizen mit aussagekräftigen Reizen in der Außendarstellung und kontern mit Tertiärtugenden wie verkehrsgünstiger Lage und guten Einkaufsmöglichkeiten. Gähn.

Außerhalb der steinigen Fußgängerzone durchziehen eine Vielzahl grüner Teppiche die Stadt. Die grüne Lunge Eilenriede, Europas größter Stadtwald, spendet reichlich frische Luft und Schatten. Mit 650 Hektar ist sie fast doppelt so groß wie der Central Park in New York. Sie reicht bis an den Maschsee, an dem das WM-Stadion steht und in dem 4.000 Fifa-Karpfen nach Luft schnappen.

Das gesamte Gebiet ist durch Wanderwege erschlossen und bietet genug Bewuchs und stille Ecken, um sich für interkulturelle Begegnungen zurückzuziehen. Leine und Ihme durchziehen die Stadt. Es wird gerudert, an Ufern gesessen, gegrillt, im chinesischen Jahr des Feuerhundes. Insgesamt hat Hannover 150 Kilometer Wasserlinie und 20 Bootshäuser. Die Rasenflächen der Herrenhäuser Gärten sind im Frühjahr und Sommer von Picknickern bevölkert. Ebenso die nahen Ufer von Ihme und Leine.

Insbesondere in den alten Arbeiterstadtteilen Linden-Nord, Linden-Mitte und der Nordstadt hat die Eckkneipe überlebt. Dort sind überall Fernseher installiert, um die Fußballspiele zeigen zu können.

Scheint die Sonne, füllen sich die Biergärten. Eine Vielzahl wird die Chance nutzen und Großbildleinwände und Fernseher für ihre Gäste aufstellen. Merke: Beim so genannten Public Viewing, der öffentlichen Guckerei bei der WM 2006, gilt deutsches Urheberrecht: Veranstaltungen ohne Eintrittsgeld sind lizenz- und erlaubnisfrei. Das heißt, dass kostenlose WM-Partys nicht untersagt werden können. Die Anwaltskanzlei Härting aus Berlin hat sich dem Thema auf ihrer Internetseite gewidmet. „Ob Kneipe, Biergarten, Kino oder Theatersaal: Wer WM-Spiele ohne Eintrittsgeld live zeigt, braucht nicht um Erlaubnis zu fragen. In jedem Kommentar zum deutschen Urheberrecht lässt sich dies nachlesen“, heißt es dort.

Darüber hinaus veranstaltet die Landeshauptstadt auf dem Waterlooplatz, einen halben Kilometer vom Stadion entfernt, das Fanfest für rund 20.000 Menschen. Mit allem, was zu einem deftigen Fußballspiel dazugehört: Animation, Einlasskontrollen, Reklame und einem VIP-Bereich für D- bis F-Promis. Neben täglichen Liveübertragungen auf einer Großbildleinwand wird hier den Fußballfans ein bunter Belustigungsblumenstrauß gereicht.

Ein Kaleidoskop der Gefühle, wie Nina Ruge in „Leute heute“ formulieren würde, pulsiert unter der 500 Kilogramm schweren Victoria, die sich den organisierten Zinnober von der Waterloosäule aus anschaut. Lüttje-Lagen-Schlachten wird es am Waterlooplatz nicht geben. Dafür darf man sich mit Wasser mit Zucker- oder Biergeschmack zuprosten.

Viele geheimnisvolle Geschichten ranken um wundersame und gleichsam unrühmliche WM-Karten-Verschiebungsaktionen. Auch in Hannover. Tausende von Karten gingen „unter der Fanhand“ an „Freunde“ weg. Wie überall in der Republik werden viele Sitze von Menschen bevölkert, die mit Fußball so viel am Hut haben, wie Niedersachsen mit lateinamerikanischen Tänzen.

Auf nach Niedersachsen. Dort kann man unter freiem Himmel oder in Zelten bei vielen Sportvereinen für acht Euro übernachten. Inklusive Pfadfinderatmosphäre. „Entweder ihr bringt euer eigenes Zelt mit oder ihr könnt in einem Großzelt übernachten. Dafür bitte auch Isomatte und Schlafsack mitbringen. Außerdem haben wir einige Wohnmobilstellplätze“, heißt es auf den Infoseiten der Stadt.

Darum Fan, finde die Plätze in der Stadt, an denen man unter schattigen Bäumen mit hunderten von Menschen selbst organisierten Freuden nachgehen kann. Schlafe unter freiem Himmel. Entdecke das Geheimnis eines Fußballsommers. Bereise Hannover, Wanderer, denn das Glück ist so nahe. Keine Furcht. Der berüchtigte Fritz Haarmann ist mit seinem Hackebeilchen schon lange nicht mehr unterwegs.

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