Marieluise Beck: Kleinvieh in Bosnien
„Man kann nicht ständig den Schrecken empfinden“, sagt die Bremer Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck. Es klingt, als würde sie sich selbst anklagen und zugleich entschuldigen. Als Integrationsbeauftragte der rot-grünen Bundesregierung hatte sie zwar eine guten Grund, ihr langjähriges Engagement für die Opfer des Balkankrieges hintenan zu stellen. Dennoch musste sie sich irgendwann kritisieren: „Marie, du warst doch mal eine gute Kennerin von Bosnien!“
Vor dreizehn Jahren beherbergte die Grünen-Politikerin in ihrem Bremer Haus eine bosnische Flüchtlingsfrau mit ihren Kindern. „Sie sprach kein Wort deutsch oder englisch, hörte aber jeden Abend bosnisches Radio und zeichnete anschließend die Orte der serbischen Vernichtungskessel auf ihre Zigarettenschachtel“. Marieluise Beck ahnte schon damals, was Kofi Annan zum zehnjährigen Jahrestag des Massakers von Srebrenica erkannte: Die internationale Gemeinschaft versagte, während die serbischen Kriegstreiber Mladic und Karadzic ungehindert einen Genozid verübten.
Die damalige Bürgerschaftsabgeordnete gründete die Hilfsorganisation „Brücke der Hoffnung“, um die Bevölkerung in der Krisenregion mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Der Bremer Verein wurde zum „Mehl-, Öl- und Zuckerunternehmen“ für die Gebiete um Lucavac, Zufluchtsort der Flüchtlinge aus Srebrenica. Nahrungsmittel, Kleidung und ganze Röntgenanlagen brachte Beck damals per Konvoi in das bedrohte Gebiet.
Als Oppositionspolitikerin will sie nun dafür sorgen, dass die Verbrechen an den Bosniaken nicht in Vegessenheit geraten. Beck fährt wieder regelmäßig nach Sarajevo und Srebrenica. Srebrenica, das einst 42.000 zählte, ist heute ein verlassenes Dorf in der Republika Srpska. Nur wenige Frauen kehrten in die zerbombte und verfallene Stadt zurück, um weiter nach ihren Angehörigen zu suchen. Die wenigen, die noch dort leben, fristen ein kärgliches Auskommen jenseits der großen EU-Hilfsprogramme. „Für solches Kleinvieh muss unser Verein wieder aktiv werden“, fordert Beck.
Zusätzlich will sie den Opfern eine Stimme vor dem internationalen Gerichtshof in Den Haag verleihen. Das, sagt Beck, sei die internationale Gemeinschaft ihnen schuldig. Katharina Rall
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