VW WILL SICH VON SEINER KREATIVEN TARIFPOLITIK VERABSCHIEDEN: Opel ist kein Vorbild
Wo bleibt der Protest? Das Management von Volkswagen will seine Mitarbeiter fast einen Tag pro Woche länger arbeiten lassen, ohne dafür mehr Lohn zu zahlen. Das wegweisende VW-Modell – weniger Wochenarbeitszeit und weniger Lohn, dafür aber Arbeitsplatzgarantien und hohe Flexibilität für das Unternehmen – steht zur Disposition. Doch die Gewerkschaften und der Betriebsrat verhalten sich am Tag nach dem Gespräch mit der VW-Führung überraschend still und nehmen die durchaus drastischen Forderungen gelassen und nur mit verhaltener Ablehnung zu Kenntnis.
Tatsächlich müssen die Arbeitnehmervertreter nicht hektisch reagieren. Sie haben Zeit, denn der gültige Tarifvertrag läuft noch bis 2011. Und sollte das Management diesen vorzeitig künden, tritt automatisch das frühere Vertragswerk in Kraft. Dann müsste VW wieder höhere Löhne zahlen und hätte das Ziel der Kostensenkung nicht erreicht.
Allerdings haben sich die Machtverhältnisse innerhalb des Konzerns geändert. Ein mächtiger Verbündeter unter den Anteilseignern, das Land Niedersachsen, ist den Gewerkschaften durch den Regierungswechsel in Hannover abhanden gekommen. Der neue CDU-Ministerpräsident Wulff ist klar für Mehrarbeit zum gleichen Lohn. Zudem neigt sich die Ära von Ferdinand Piëch dem Ende zu – er hat sich seine expansive Unternehmenspolitik als Vorstandsvorsitzender und Aufsichtsratschef durch viele Zugeständnisse an die Arbeitnehmervertreter gesichert. Zu allem Überfluss arbeiten auch VW-Kollegen in anderen hochproduktiven Werken für deutlich weniger Geld.
Aber genau deswegen dürfen die Gewerkschaften und Betriebsräte bei Volkswagen nun nicht gelassen bleiben. Denn mit dem Ende des VW-Modells ginge ein Vorbild für Kreativität in der Tarifpolitik verloren, die in der bestehenden oder herbeigeredeten Konkurrenz zwischen den Standorten weltweit zunehmende Bedeutung gewinnt. Eine Entwicklung wie bei Opel, wo die Konzernführung ihre Wettbewerbsprobleme lösen will, indem sie die unterschiedlichen Standorte in Europa gegeneinander ausspielt, ist Volkswagen nicht zu wünschen. Wohl aber eine intelligente Weiterentwicklung der VW-Arbeitsmodelle. STEPHAN KOSCH
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