ELKE ECKERTLEUCHTEN DER MENSCHHEIT: Mach den Thierse und sei vorbereitet
Bernau im Demofieber – die KMOB (Kameradschaft Märkisch Oder Barnim) hatte angekündigt, für ein „nationales Jugendzentrum“ durch die Stadt marschieren zu wollen. Unter dem Motto „Brandenburg nazifrei“ formierte sich schnell ein Gegenbündnis und eine Gegendemo wurde angemeldet. Eine gute Gelegenheit, ein Handbuch in der Praxis zu erproben: „Das Buch gegen Nazis“ (Hrsg: Holger Kulick, Toralf Staud, KiWi 2009). „Wissen“, „Handeln“ und „Erkennen“ sind die Oberbegriffe, unter denen die Autoren in über 70 Kapiteln Argumentationshilfen gegen Nazis und rassistische Sprüche am Arbeitsplatz, in der Schule oder auch im Gemeinderat geben.
Samstag früh um 10 Uhr trifft sich die Gegendemo. Zu früh für mich, ich muss mich noch vorbereiten und lese das Kapitel „Sind Sitzblockaden eigentlich strafbar?“. Das Buch erklärt, dass die Blockaden als „Straftatbestand der Nötigung“ oder nur als Ordnungswidrigkeit gesehen werden können. Ich vertraue auf Letzteres und packe Trinkflasche, Essen und Sonnenhut ein und mache mich mit anderen Nachzüglern auf den Weg.
„Wie sehen Nazis aus? Kann man sie erkennen? Wie geht man mit dem Schwarzen Block um?“ Auf der Zugfahrt gebe ich ungefragt sachdienliche Hinweise an meine Mitfahrer, frisch angelesen. Die Polizei hat vor dem Bahnhof eine Sperre errichtet. Noch eine Stunde bis zum Aufmarsch. Sitzen oder Stehen? Ist beides strafbar? Das Buch sagt: „Ja!“ Na denn! Von den Nazis nichts zu sehen, die Sonne scheint, man isst und trinkt, aber wohin zum Pinkeln? Die Polizei rückt uns nach dreimaliger Aufforderung, den Platz zu verlassen, näher. Doch dann sehen wir, dass die Nazis von der anderen Seite auf den Bahnsteig laufen.
Wir gehen Eis essen. Der Triumph hält sich in Grenzen. Sind Sitzblockaden immer so langweilig? Nicht unbedingt. Das Kapitel „Wie organisiere ich kreative Demonstrationen?“ hilft auch in dieser Frage. Aber das hatte ich noch nicht gelesen.
■ Die Autorin ist Assistentin in der Kulturredaktion der taz Foto: privat
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