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HAMBURGER SZENE VON REBECCA CLARE SANGERDie Pathologisierte

Sie sitzt im Hinterteil des Raumes in einer Ecke, sie wiederholt sich, sie kämpft, sie murmelt, die ersten verlassen den Raum

Ihr Gesicht ist ein wenig pufferig, als wäre sie einem schleswig-holsteinischen Bauernbild entsprungen, oder als ob sie zu viel trinkt. Ihre Augen aber funkeln. Die Veranstaltung, der sie beiwohnt, könnte man als politisch links einordnen, aber ihr ist sie nicht links genug. In der Publikums-Fragerunde schimpft sie auf „das System“, und dem Redner ist es nicht möglich, irgendetwas zu sagen, was nicht ihren Zorn entfacht. Sie sitzt im Hinterteil des Raumes in einer Ecke, sie wiederholt sich, sie kämpft, sie murmelt, sie reißt das Wort an sich, die ersten Veranstaltungsbesucher verlassen den Raum „um erstmal eine zu rauchen“.

Dass die Besucherin womöglich ein psychologisches Problem habe, wird in der Raucherrunde draußen von einer Teilnehmerin gemutmaßt, doch die liberal Denkenden empören sich: Die Pathologisierung sei eine Kränkung, eine Schwächung, wo sonst, wenn nicht im alternativen Rahmen, könne ein Individuum ein Individuum sein. „Wo sonst kann jeder einfach mal Teil der Gruppe sein“, sagt eine andere und wendet sich ihren Freunden zu, und diejenige, die pathologisiert hat, trollt sich.

„Was immer sie braucht, ich habe es nicht“, sagt ein freundlicher Anarchist mit Spitzbart und Mütze, nachdem die Veranstaltung – unter dem Protest der Frau – beendet worden ist. Die Frau tritt als eine der Letzten den Heimweg an.

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