: Mit Höchstmaß an Energie
Der Belgier Jan Hoet, Direktor des Herforder Frank O. Gehry-Museums MARTa und des renommierten S.M.A.K. in Gent, ist in NRW seit Jahren präsent. Der wilde Mann der Kunst wird heute 70 Jahre alt
VON CLAUDIA SIEFEN
Jan Hoet ist ein drahtiger, quirliger Mann, mit einem großzügigen Hang zur ausschweifenden Rede. Während die erste Versuchung groß ist, ihn nach einiger Beobachtung mit dem Prädikat „cholerisch“ zu belegen, stellt sich schon kurz danach Bewunderung für dieses grauhaarige Höchstmaß an Energie ein. Denn er hält auch schon mal für die Beantwortung höchst privater Fragen her: Ja, seine langjährige Ehe funktioniere deshalb so gut, weil er fast nie zu Hause sei – Hoets wüster Augenaufschlag lässt dann die restlichen Frager schnell verstummen.
Jan Hoet wird heute siebzig Jahre alt. Furore machte er 1986 mit der Ausstellung „Chambre d‘Amis“: 70 Bewohner in Gent stellten da ihre private Wohnung als Raum für eine Kunstinstallation zur Verfügung. Für wenige Wochen war die Trennung zwischen Kunst und Alltag aufgehoben. Folgerichtig wurde er 1992 Leiter der weltbekannten documenta (IX) in Kassel. Jan Hoet gelang es damals, ein breites Publikum für moderne Kunst zu interessieren. Heute zählt der Belgier zählt zu den bekanntesten Kuratoren seines Jahrgangs, ergreift auch genügend Gelegenheit, seine Arbeit, sein Engagement und nicht zuletzt sich selbst zu präsentieren. In Borken leitete er 2001– zur Überraschung der Stadtfürsten – unentgeltlich die artline5, ein kommunales Kunstfest, das zwar wenig überregionale Resonanz erzeugte, aber künstlerisch überaus prominent besetzt war. Hoet lieferte schließlich Exponate aus dem von ihm aufgebauten Stedelijk Museum voor Actuele Kunst (S.M.A.K.) in Gent und das gehört zu Europas renommiertesten Häusern für Gegenwartskunst.
Und da er auch ein hoffnungsloser Romantiker ist, hat er die Gelegenheit genutzt, als erster Direktor des in diesem Jahr eröffneten Museums MARTa in Herford in einer emotionalen wie tief blickenden Ausstellung dies zu bekräftigen: “My Private Heroes“ nannte sich die Versammlung von hochkarätigen, eigenen, wie geliehenen Werken, die er in dem nagelneuen, organisch verschachtelten Bau des amerikanischen Architekten Frank O. Gehry installierte. Hoet betrauerte hier gekonnt den – doch recht temporären – Umstand, dass das moderne Bürgertum keiner Helden mehr bedürfe. In seinem Wortsinn sind das vor allem Künstler, die sich ihrer Einsamkeit, der Missachtung stellen, mit der existentiellen Drohung von sich einstellendem Misserfolg. Alles kann einem nämlich zu jeder Zeit aus den kreativen Händen entgleiten. Nur der Künstler stelle sich zeitlebens dieser Gefahr und setze sich mit ihr auseinander und dies auch noch möglichst schmerzhaft, so Hoet.
Das Körperhafte ist ihm selbst allgegenwärtig, nicht nur durch sein Studium der Archäologie und Kunstgeschichte. Seinem Drang, sich zu bewegen kompensierte er schon in seiner Zeit als Boxkämpfer (Fliegengewicht). Denn das Leben ist ein Kampf und die nicht endende Suche nach der Vergangenheit. „Künstler ist man ja sein Leben lang. Das hört nie auf. Das muss man sich mal vorstellen!“, sagt er im Gespräch mit dem Filmemacher Jürgen Heiter in dessen Portrait des Kölner Fotografen Benjamin Katz. Den hat Hoet in Brüssel als einer der ersten kuratiert.
Zu seinen Helden zählt Hoet vor allem den belgischen Maler James Ensor, den Impulsgeber des Surrealismus (1860-1949). Dessen Arbeiten hatten Hoets Eltern in Leuven bereits gesammelt, als Ensor noch nicht einmal als Geheimtipp ein Begriff war. Ihm widmete Hoet in Herford denn auch eine großartig verknüpfte Einzelausstellung, mit dem schönen Namen „Bitte nehmen Sie Platz, Herr Ensor“, in der Hoet die Gemälde und Zeichnungen mit Möbeln und Objekten von Zeitgenossen Ensors wie Henry van de Velde oder Victor Horta zusammenbrachte. Genau in dieser Verbindung will sich das MARTa verstanden wissen, und zeigt dies schon mit seiner Namensgebung: „M“ wie Möbel, „Art“ wie Kunst und schließlich „a“ wie Architektur. Hoet will dem Betrachter, welcher Ausstellung auch immer, die Möglichkeit geben, moderne Kunst in das eigene Alltagsleben zu integrieren. Dass ein wichtiger Industriezweig in Ostwestfalen-Lippe die Möbelindustrie ist, war bei der Ortswahl des Museums mit Sicherheit nicht unerheblich. Hoet gibt sich auch redlich Mühe, Nordrhein-Westfalen als modern, innovativ und dynamisch darzustellen, Das zeigt er oft auf Veranstaltungen des Landtages. Dort spricht dort vor allem: viel und gut. Dem früheren Gymnasiallehrer ist nichts von seinem Willen und Können, zu belehren und zu begeistern abhanden gekommen. Weltweit kann man dies zu spüren bekommen, denn wenn man die Augen aufhält entdeckt man Ausstellungen in Montreal, Lissabon, Hongkong oder Paris und Madrid.
In Tokyo kuratierte er 1995 die Veranstaltung zum 50. Jahrestag Hiroshima & Nagasaki “Ripple across the water“. Im September lässt Hoet, der sich auch „Künstlerischer Berater des Königs und der Königin von Belgien“ nennen darf, seine weltweiten Beziehungen wieder spielen, wenn er das Konzept des Victoria und Albert Museums London in die Provinz holt: Da will er bei „Designing a new world“ mal eben die ganze Moderne neu interpretieren. Kein Wunder, dass es auf die Frage, ob Hoet denn auch mal Ausstellungen besuche, einen hitzigen Blick und eine geschossene Antwort gibt: „Wieso? Die mache ich doch selber.“
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