piwik no script img

Mit einer Handvoll Geigen

PORTRÄT Johannes Haase spielt bei der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, in der Experimental-Rock-Band Flow Job, betreibt ein Streichquartett und improvisiert frei

„Ich mach auch seltsame Sachen. Aber ich versuche auch, nichts auszugrenzen – auch nicht Harmonie oder Melodie. Es gibt diese Impro-Nerds, die alles ablehnen, was konventionell klingt. Aber für mich ist das nicht mehr frei“

Johannes Haase

VON ANDREAS SCHNELL

Es ist schon eine beträchtliche stilistische Spanne: zwischen freier Improvisation und klassischer Musik, zwischen Neuer Musik und Rock. Aber der Bremer Musiker Johannes Haase hat damit ganz offensichtlich keinerlei Probleme. Nicht nur theoretisch.

Ein halbes Dutzend Geigen liegt verteilt in dem Atelier in der Neustadt, das sich Johannes Haase mit einer befreundeten Pianistin teilt. Wenn er in Bremen ist, verbringt er seine freie Zeit vorwiegend hier. Aber nicht, um sich einen gemütlichen Tag zu machen. Haase spielt dann vor allem auf seinen Geigen. Die Hälfte davon sind elektrische Violinen, die anderen „normale“, darunter eine mehrere Hundert Jahre alte aus Böhmen. Manchmal veranstaltet er hier auch kleine Konzerte.

Oft ist Haase allerdings gar nicht in Bremen. Seit zwei Jahren lebt er sozusagen aus dem Koffer, pendelt, wenn er nicht gerade auf Tournee ist, zwischen Bremen und Basel, wohnt hier und dort bei Freunden. „Wenn ich in Bremen bin, brauch ich auch die Zeit zum Spielen.“

Nach Bremen kam der 1983 in Wolfenbüttel geborene Musiker eher zufällig. „Das hat sich einfach so ergeben“, sagt er. „Bei mir hat sich alles mehr oder weniger ergeben. Bremen war Zufall. Ich hatte die Schule abgebrochen und musste etwas anderes machen.“ In Bremen bekam er einen Studienplatz, also studierte er eben hier. Zu Ende gebracht hat er sein Studium nicht.

Einen Abschluss machte Haase dann erst vor eineinhalb Jahren, in einer Improvisationsklasse des legendären Avantgarde-Gitarristen Fred Frith in Basel. Auch das ergab sich eher zufällig. „Ich habe wahrscheinlich schon den Ausweg gesucht, wie ich mein Studium in Bremen möglichst elegant zu Ende bringe.“ Ein Kollege von der Kammerphilharmonie war in Basel an der Hochschule gelandet. So erfuhr Haase, dass Fred Frith dort eine Improvisationsklasse anbot.

Das Studium in Bremen und Basel brachte Haase eine ganze Reihe von Kontakten, die heute noch wichtig für ihn sind. In Bremen lernte er vor allem Komponisten der Neuen Musik kennen, einige davon aus Chile, weshalb Haase dieses Jahr dort einige Monate verbringen wird. Überhaupt ist er ziemlich viel unterwegs. „Ich versuche immer, egal wo ich hinkomme, meine eigenen kleinen Gigs zu machen.“ Als er mit der Kammerphilharmonie eine Tournee in Japan spielte, fand er in Yokohama ein 80 Jahre altes Café. „Die haben eine riesige Plattensammlung. Da hab ich gefragt und ein kleines Set mit akustischer Geige gespielt.“

Die eigenen Projekte will Haase in diesem Jahr verstärkt betreiben. Im Februar reist er nach Indien, um zu lernen, zu hören, zu spielen, später dann nach Chile für vier Monate. Die Kammerphilharmonie ermöglicht ihm diese anderen Projekte. Dazu gehört unter anderem die Experimental-Folk-Rock-Band Flow Job, das Streichquartett „Quartett Opus 18“, freie Projekte mit Video und Solo-Improvisation und eine Funk-Band. „Alles, was zu fest wäre, ist im Moment nichts für mich“, sagt Haase.

„Mein Plan ist, noch mehr zu lernen, mehr Leute kennenzulernen, alles, was ich jetzt schon mache, zu verbessern. Und wenn ich jetzt all das lerne und vertiefe, was ich gern lernen würde, dann kann das vielleicht alles ganz gut laufen. Ich weiß nicht ob’s dann in der Welt eine Chance hat und ich damit Geld verdienen kann. Sorgen mach ich mir aber nicht. Ich hab gute Instrumente, ich hab meine Effekte – im Moment ist es okay.“

Aber auch wenn es keinen Karriereplan gibt – Ziele hat Haase noch viele. „Ich war noch nie in Afrika, das wäre auf jeden Fall interessant. Mali, Äthiopien – ich hab mir ganz viel äthiopischen Soul und Funk aus den frühen Siebzigern besorgt, das ist super. Und aus Mali mag ich diese Sachen mit Ngoni, einer Art Laute.“

Ganz so spektakulär mag es vor diesem Hintergrund nicht klingen, dass er an diesem Wochenende mit Henning Pertiet im Gemeindezentrum der Verdener Domgemeinde spielt. Aber die Kombination hat es durchaus in sich: Pertiet ist schließlich nicht unbedingt als Vertreter der freien Improvisation bekannt, sondern genießt einen guten Ruf als Boogie- und Blues-Pianist. Gespielt haben die beiden bislang noch nie miteinander, erzählt Haase: „Wir haben uns nur einmal getroffen, als er hier im Atelier gespielt hat. Danach hat er mich angerufen und gefragt, ob wir mal zusammen spielen wollen.“ Und zwar: frei spielen. Genau das reizt Haase: „In Bremen gibt’s nicht viele Leute, die frei spielen wollen. Und Pertiet spielt ziemlich stark, er hat Power – und so viel Boogie ist da auch nicht mehr drin.“

Freie Improvisation bedeutet für Haase schließlich auch nicht, das „Normale“ um jeden Preis zu vermeiden: „Ich versuche, nichts auszugrenzen – auch nicht Harmonien oder Melodie. Es gibt Impro-Nerds, die alles ablehnen, was konventionell klingt. Aber für mich ist das nicht mehr frei.“

Bevor die beiden gemeinsam musizieren, geben sie in Solo-Sets Kostproben ihrer Kunst, Johannes Haase hat für den Abend eine seiner akustischen Geigen ausgesucht, einen Delay-Looper und einen Akustik-Verstärker, um auch mit leisen Tönen arbeiten zu können.

■ Samstag, 20 Uhr, Dom-Gemeindezentrum, Lugenstein 10, Verden

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen