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„Ein Künstler soll Zeit erfinden“

„Ich habe versucht, mich auszuverkaufen – aber außer ein paar Avantgardemusikern hat’s niemanden interessiert.“ Ein Gesprächmit Mayo Thompson zum 40. Geburtstag seiner Band Red Krayola

INTERVIEW MAX DAX

taz: Herr Thompson, ohne Sie gäbe es vermutlich weder Punk noch Post-Punk. So berühmte Bands wie Wire, Tortoise oder Sonic Youth berufen sich auf Sie. Nur Sie selbst scheinen als Einziger keine Karriere gemacht zu haben.

Mayo Thompson: Sie haben es auf den Punkt gebracht. Ich hatte nie wirklich eine Karriere. Mehrmals stand ich kurz davor, aber dann ging es wieder bergab. Ich sage seit Jahren: Ich habe versucht, mich auszuverkaufen – aber außer ein paar Avantgardemusikern hat’s niemanden interessiert. Meine Band The Red Krayola feiert diesen Juli ihr 40-jähriges Bestehen. Als wir damals begonnen haben, Musik zu machen, wollten wir einfach nur etwas machen, das nicht dem typisch texanischen Lebenslauf entsprach. Und es begann ja auch gut: Wir bekamen einen Plattenvertrag, nahmen in drei Jahren vier Alben auf – und wurden von unserer Plattenfirma wegen Erfolglosigkeit entlassen.

Diese vier Alben gelten heute ausnahmslos als Klassiker der improvisierten Krachmusik: Sie haben Musikgeschichte geschrieben.

Danke, Sie sind ein höflicher Mensch. Aber damals habe ich meine Situation als surreal empfunden. Mein Ausflug in die Welt der Rockmusik fühlte sich an wie ein Besuch in einer Kulissenstadt. Hinter der Fassade mit den Marmorsäulen und der Aufschrift „Plattenindustrie“ war nichts. Nur die Fassade aus Holz existierte. Das war Ende der Sechzigerjahre.

Wie haben Sie reagiert?

Ich habe seitdem lange Zeit nur noch sporadisch Musik gemacht, alle paar Jahre eine Platte aufgenommen. In den Siebzigern bin ich nach New York gegangen und habe mich in der Kunstszene durchgeschlagen, habe als Assistent von Robert Rauschenberg gearbeitet, die Farben angerührt, für ihn eingekauft, seine Hunde ausgeführt, sein Atelier gemanagt und überhaupt so allerlei erlebt. Erst gegen Ende der Siebzigerjahre in England erlebte ich so etwas wie Anerkennung. Ich war nicht schlecht überrascht, als ich erfuhr, dass T.Rex angab, von mir beeinflusst zu sein. Und in der Explosion der Punkmusik die eigene Musik zu hören war einfach großartig. Ich fühlte mich wie ein Visionär.

Wovon lebt man als genreprägender Musiker ohne wirtschaftlichen Erfolg?

Gut. Warum auch nicht. Solange man als Musiker seine Integrität bewahrt, ist alles in Ordnung. Wenn ich, um meine Integrität als Musiker bewahren zu können, nebenher arbeiten muss, und sei es bei McDonald’s oder Walmart, ist immer noch alles in Ordnung. Ich habe zwischenzeitlich eine Kunstgalerie in Los Angeles geleitet, ich habe Anfang der Achtziger für die neu gegründete, erste Independent-Plattenfirma Rough Trade gearbeitet. Heute bin ich Gastdozent am Art College in Pasadena, Kalifornien. Den Job habe ich nur deshalb bekommen, weil ich The Red Krayola bin. Weil die sich mit einem Avantgardisten wie mir schmücken wollten, um ihre hohen Semestergebühren zu rechtfertigen. So gesehen habe ich dann doch Karriere gemacht.

Was lehren Sie in Pasadena?

Das letzte Semester lief unter der Überschrift „Contemporary Sound – Good, Better, Best“. Ich glaube nicht an Kategorisierungen und Geschmack in der Musik. Für mich gibt es kein „gut“, kein „besser“ und schon gar kein „am besten“. Ich glaube an asymmetrische Beziehungen. Ich erkläre meinen Schülern drei Grundsätze: 1. Etwas, das ich heute mag, mochte ich gestern noch nicht. 2. Etwas, das ich heute nicht mag, werde ich morgen mögen. Und 3.: Alles, was ich mag, mag mein schlimmster Feind auch.

Klingt nach Kippenberger.

Ist aber von mir. Kippenberger sagte: Der Feind meines Feindes ist auch mein Feind. Von Kippenberger stammt auch der Spruch: Keiner hilft keinem. Freunde brauchen keine Hilfe.

Sondern?

Inspiration. Freie Gedanken. Es ist gut, wenn Musik, wenn Kunst inspiriert, zu neuen Systemen führt. Als ich Ende der Siebziger nach London kam, erlebte ich Punk – und wie diese Musik die funktionale Musik der Disco-Ära hinter sich ließ. Das empfand ich als inspirierend. Und die Rückkopplung war ebenfalls bedeutend: festzustellen, dass man seinerseits andere inspiriert hat. Das war für mich ein Moment der Klarheit.

In Amerika haben Sie solche Momente nicht?

Doch, aber selten. Amerika ist ein seltsamer Kontinent. Viele Menschen verlieren im Laufe der Jahre ihre ursprüngliche Idee aus den Augen. Das ist sehr typisch für Amerika. Viele Karrieren, meine inklusive, sind nichts anderes als eine Aneinanderreihung von Möglichkeiten, die man im Leben wahrgenommen hat. Man forciert die Dinge nicht, aber man ist präsent und bereit, den Möglichkeiten zu folgen. Das ist nicht verwerflich. Man muss nur darauf achten, dass man sich treu bleibt. Nur dann, und ohne dass Sie es beabsichtigt hätten, stellen Sie ein Jahrzehnt später fest: Sie haben Spuren hinterlassen. Berühmte Menschen berufen sich auf Sie. Das ist Amerika. Das passiert andauernd. Amerika ist nur ein anderes Wort für zufällige Karrieren – für Karrieren, die aus Missverständnissen entstanden sind. Wittgenstein sieht das übrigens genauso.

Woher kommt die Faszination der amerikanischen Intellektuellen für Wittgenstein?

Weil wir alle von der Eingeschränktheit der anderen eingeschränkt werden. Meine begrenzte Auffassungsgabe macht es mir unmöglich, zur Gänze zu verstehen, was mein Gegenüber mir zu erklären versucht. Meine begrenzte Auffassungsgabe bedeutet von vornherein eine Vereinfachung bis hin zur Verfälschung einer jeden Aussage. Das ist, grob gesagt, Amerika, und das hat keiner so gut erkannt wie Wittgenstein. Übrigens gibt es Philosophen, die behaupten, Wittgenstein hätte die Philosophie um einhundert Jahre zurückgeworfen. Andere wiederum, und zu diesen zählt der Begründer der Konzeptkunst, mein Freund Joseph Kosuth, schwören auf Wittgenstein.

Kosuth besitzt ein Atelier in New York und eins in Rom, er kann aus Amerika fliehen, wenn er will.

Wenn ich Sie unterbrechen darf: Ich bin nicht an Immobilien oder Grundstücken oder der Anhäufung von Besitztümern interessiert. Mein Großvater war so klug, dass er auf dem Friedhof eine Familiengruft gekauft hat. Ich muss mich also um nichts mehr sorgen. Tatsächlich bin ich ausschließlich an Credits interessiert. Die richtigen Namen müssen an den richtigen Stellen genannt werden. Die Archive müssen stimmen. Darum geht es. Sie müssen Ihre Spuren hinterlassen. Haben Sie Bob Dylans Buch gelesen? Dann wissen Sie, wovon ich rede. Dylan hat einer Menge Künstler großen Respekt erwiesen, indem er klargestellt hat, wer ihn erst auf den richtigen Pfad gebracht hat. Es ist das beste Buch, das seit Jahren erschienen ist. Da haben Sie’s: Es ist das „beste“ Buch! Dylan ist für mich sehr wichtig gewesen, damals, 1966.

Warum?

Er hat einen Scheiß drauf gegeben, dass die Menschen ihn nicht verstanden haben. Er hat mir als Musiker Mut gemacht. Dylan hat auf textlicher Ebene eine Komplexität und Diskursivität ins Spiel gebracht, die es zuvor nicht gegeben hatte. Wenn einem als Musiker die Musik nicht alleine zum Abschleppen von Frauen wichtig war, dann war Dylan der Grund. Ein anderer Grund, weshalb Dylan so wegweisend war: Er wusste, dass niemand dazu imstande ist, jemand anders den Weg zu weisen – er am allerwenigsten. Er war und ist nur sich selbst Rechenschaft schuldig und ging daher die bekannten radikalen künstlerischen Schritte – um weiterzukommen, um sich fortzubewegen. Das wiederum ist ein System mit offenem Ausgang, und das funktioniert. Mich hat er damit beeinflusst und unzählige andere. Radikal die Richtung ändern, wenn man stecken zu bleiben droht. Man nennt das auch den Induktionseffekt. Man darf sich daher nie scheuen, die richtigen Dinge zu tun, auch wenn die anderen – und das ist wieder Wittgenstein – in ihrer Limitiertheit nur einen Bruchteil dessen verstehen mögen, was man da gerade tut.

Sie meinen, Wiederholung ist der Tod?

Wiederholung ist der Tod. Ganz genau. Jeder, der diesen Grundsatz beherzigt, wird Schwierigkeiten mit seiner Karriere bekommen.

Was beabsichtigen Sie zu tun?

Mich zu wiederholen. Das habe ich noch nie getan. Von Robert Rauschenberg habe ich gelernt, dass man Macht über die Zeit haben kann. Man kann als Mensch der Zeit voraus sein, Zeit erfinden. Das ist die Aufgabe des Künstlers: Zeit erfinden.

Haben Sie deshalb Ihre neue Platte „Introduction“ betitelt?

Ehrlich gesagt: nein. Ich habe zwei neue Musiker in meiner Band. Ihre Porträts sind auf der Plattenhülle. Um sie vorzustellen, habe ich meine neue Platte „Introduction“ genannt. Das ist übrigens schon immer meine Arbeitsweise gewesen: Ich begegne Menschen, und ich möchte mit ihnen zusammenarbeiten. Anders als vor 40 Jahren spiele ich heute wesentlich besser Gitarre. Ich weiß mehr über das Geschäft und über mich und über die Welt. Aber meine Ideen sind weitgehend die gleichen geblieben.

Können Sie das beschreiben?

Ich versuche Schönheit zu erschaffen. Ich habe es immer so gesehen, dass die extrem schwierigen und komplexen Schallplatten von The Red Krayola Werke von extremer Schönheit darstellen. Für mich sind es schöne Werke. Für meine Musik brauchte man damals ein neues Vokabular. Es war keine Populärmusik, die jeder mühelos hätte dechiffrieren können, weil niemand über das Vokabular verfügte. In diesem Sinne sehe ich Musik auch wie Sprache – nur dass es in der Musik, wie ich sie anwende, keine Grammatik gibt. Es gibt immer eine Syntax – aber nie eine Grammatik. Die Grammatik ergibt sich aus der Folgerichtigkeit der Bestandteile. So habe ich immer gearbeitet.

Warum sind Sie eigentlich nicht Künstler geworden? In Texas haben Sie damals Kunstgeschichte studiert, und Künstler wie Albert Oehlen oder der jüngst verstorbene Jörg Schlick gehören zu Ihrem Freundeskreis. Überhaupt stand The Red Krayola, ähnlich wie Sonic Youth, immer in dem Ruf, eine Künstlerband zu sein.

Ich habe leider kein Talent als bildender Künstler. Ich liebe die moderne Kunst, aber ich bin kein Künstler. Ich habe nicht die Hingabe, die ich bräuchte, und ich kann Ideen nicht visualisieren. Da ich Kunst für mich lesen kann, weiß ich, worum es geht – und dass ich nicht mithalten kann. Da bleibe ich lieber bei der Musik.

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