suhrkamp etc.: Bald ein Verlag wie jeder andere
Der Reflex ist, wie sich das für eine intakte Innervation gehört, immer derselbe: Bei Suhrkamp verlässt jemand den Verlag, sei es aus der Führungsebene, sei es ein Schriftsteller, und prompt beschwören die professionellen Beobachter auf ein Neues die „Suhrkamp-Dauerkrise“. Im Fall des Abgangs von Rainer Weiss, der über zwanzig Jahre in leitenden Positionen bei Suhrkamp tätig war, zuletzt als Programmgeschäftsführer, reichen selbst Wörter wie „Sorge“ und „Turbulenzen“ nicht mehr. Von einer „Bombe“ (FR) ist die Rede, einem „Beben“ (Welt), und der FAS „stockt nun wirklich der Atem in Sorge um dieses ehrwürdige Haus“. Tja, da kann es also nicht mehr lange dauern und Suhrkamp fährt mit Pauken und Trompeten an die Wand, gesteuert von Ulla Unseld-Berkéwicz, der Unseld-Witwe, die seit Unselds Tod 2002 den Verlag leitet.
Man könnte aber auch die Kirche im Dorf lassen und sagen, dass es bei Suhrkamp auch ohne Rainer Weiss weitergeht. Und ohne Günter Berg, einem ehemaligen Unseld-Kronsohn, der das Haus nach Unselds Tod 2003 verließ, ohne den Lektor Thorsten Ahrend, ebenfalls ein Unseld-Berkéwicz-Opfer. Berg ist jetzt Verlagsleiter bei Hoffmann & Campe, Ahrend Lektor bei Wallstein. Aber sind Hoffmann & Campe und Wallstein die neuen Suhrkamps? Ahrend etwa macht bei Wallstein ein gutes literarisches Programm, aber auch keine Titel, die viel Geld in die Wallsteinkasse spülen würden.
Gut möglich, dass Suhrkamp bald ein Verlag wie jeder andere ist: ein Verlag, bei dem es gute und nicht so gute neue Bücher gibt, der Schriftsteller verliert und neue entdeckt. Und der darüber hinaus, was für ein Wettbewerbsvorteil!, eine fantastische Backlist hat, die gehegt und gepflegt werden will. Ulla Berkéwicz ist dafür, egal was man gegen sie ins Feld führen kann, sicher nicht die falsche – als hehre Werte- und Kulturgutbewahrerin versucht sie sich ja zu bewähren, so wenig zeitgemäß das sein mag. Die Marke Suhrkamp ist stabil, wenn nicht sogar ausbaufähig. Selbst Rainer Weiss sieht für Suhrkamp jenseits der Klassikerpflege nicht schwarz: „Der Verlag“, hat er in einem Interview mit dem Branchenmagazin Buchmarkt kurz nach seiner Demission gesagt, „hat eine solide Basis und viele gute Autoren, die jetzt nachwachsen, sodass es an innerer Erneuerungskraft nicht mangelt. Man muss sie nur richtig steuern – und Glück haben“. Wie jeder andere Verlag eben auch – die Zeit, da Suhrkamp eine ganze Kultur begründete, ist vorbei. Eine Katastrophe aber muss das nicht sein. GERRIT BARTELS
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