piwik no script img

WM gucken mit… Italienern in Hamburg

Die Deutschen lieben die Italiener, aber sie achten sie nicht, während die Italiener die Deutschten achten ohne sie zu lieben. Hieß es. Bis vorgestern.

In der Pizzeria Da Leonardo in St. Pauli ließ sich am Dienstagabend das offizielle Ende der Gastarbeiterära beobachten. Klassische Rollenverteilung: Siegessichere Deutsche, die zum Italiener an der Ecke gehen, um das Spiel zu sehen. Die anwesenden Italiener sind größtenteils Angestellte und wuseln mit Carpaccio, Pizza Ruccola und viel Vino zwischen Küche und Fernseher hin und her.

Als dann aber die italienische Hymne angestimmt wird, stehen die Tabletts doch für einen Moment still und es wird noch ein „Forza! Italia!“ hinterhergerufen. Eine deutsche Dame mit Schwarz-Rot-Gelbem Vokuhila zieht eine Augenbraue hoch. Heißt so nicht die Partei Silvio Berlusconis? Ist das etwa politisch korrekt?

Ja, ist es, korrigiert sie Salvatore, der Kellner. Dieser Abend hat nichts mit Politik zu tun. Ebenso wenig wie mit Wettskandalen.

Nach der ersten Halbzeit hat die Vokuhila-Dame dann aber doch genug vom Fußball in der Pizzeria. Salvatore bleibt ihrer Ansicht nach zu oft vor dem Fernseher stehen, das sei „unsensibel“, schließlich sei er nicht zum Vergnügen da.

Bei Salvatore und seinen schlüpferblau gekleideten Kolleginnen braut sich was zusammen. So hatte man sich den Abend nicht vorgestellt. Ständig werden sie ermahnt, doch bitte schneller den Grappa davor, den Vino mittendrin oder den Espresso danach zu servieren und den meisten Bestellungen wird ein „Ihr verliert doch sowieso“ hinterhergesetzt.

Zähneknirschend geht es in die zweite Halbzeit und von dort aus fließend in die Verlängerung. „Das isse Ma-ua!“ „Beckenbaue hatte de Schiri bezahlt!“ Die Worte der Belegschaft bleiben unerhört und man fürchtet sich vor einem Elfmeterschießen. Da, das wird eingestanden, seien die Deutschen doch unschlagbar.

Dann aber stellt sich doch noch Gerechtigkeit für die Knechte des Da Leonardo ein: Dank zweier Tore in letzter Minute sprudelt endlich pure Anarchie aus den Anhängern der Squadra Azzurra: Schmuckstücke des Italo-Pop werden auf den Tischen tanzend gesungen, die Telefoninos für ein paar Fotos vom Sieg gezückt und Bestellungen nun endgültig ignoriert.

Bei der Kaperung der Tische gehen einige Gläser zu Bruch, ein Deutscher häuft die Scherben mit preußischer Akribie zusammen und streckt sie Salvatore entgegen. Der ist für den restlichen Abend höchstens in seiner Muttersprache ansprechbar und läuft mit seinen kreischenden Landsleuten auf die Straße, um grün-weiß-rote Feuerwerkskörper in die Nacht zu schießen. Italien, Fußballweltmeister ‘34, ‘38, ‘82 und 2006 – das Leben ist schön.

Die Zuneigung der Deutschen können sich Italiener vermutlich erst mal abschminken. Während die Squadra Azzurra nach Berlino fährt, lässt sich das Missgeschick von Dortmund vielleicht mit einem Eis beim Italiener um die Ecke trösten. Immerhin ließe sich dann sagen: Deutschland isst Waldmeister. Jessica Riccò

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen