: Soll man Radfahrern das Trinken verbieten?Ja
Erst ab 1,6 Promille gelten Radler als fahruntüchtig. Doch schon weniger reicht, um aus dem Sattel zu kippen
Tobias Lindner, 38, ist Unfallchirurg und arbeitet am Berliner Universitätsklinikum Charité
Nicht nur Auto-, sondern auch Fahrradfahrer verursachen alkoholisiert schlimme Unfälle. Gerade im Hochsommer werden wir in den Rettungsstellen täglich mit alkoholbedingten Unfällen konfrontiert. Meistens verletzen sich betrunkene Radfahrer natürlich selbst – Knochenbrüche und Kopfverletzungen müssen wir am häufigsten behandeln. Aber immer wieder erfassen sie auch andere Passanten mit hoher Geschwindigkeit oder provozieren Autounfälle. Dabei sind die Sturzbetrunkenen seltener das Problem: Die schaffen es oft gar nicht mehr auf den Sattel. Schon kleinere Mengen Alkohol euphorisieren und führen oft zu verhängnisvollem Leichtsinn. Wer argumentiert, es sei harmlos, betrunken Rad zu fahren, verkennt die Realität. Denn die Gefahr von Unfällen, auch mit tödlichem Ausgang, besteht immer.
Sabine Spitz, 38, ist Olympiasiegerin in der Mountainbike-Disziplin Cross Country
Es macht doch überhaupt keinen Unterschied, ob ein Autofahrer oder ein Radfahrer zu viel Alkohol trinkt. Für das Fahren auf zwei Rädern braucht man ja fast noch mehr Koordination als beim Autofahren. Da reichen dann schon mal ein paar Bier, um den Bordsteintest nicht mehr zu bestehen und somit für sich und andere zur Gefahr zu werden. Das gilt für Radprofis genauso wie für Gelegenheitsradfahrer. Deshalb sollte auch auf dem Rad nach einem Bier Schluss sein. Dann lieber vorm Feiern einen Autofahrer bestimmen, der nüchtern bleibt. Oder gleich zu Hause feiern.
Markus van Stegen, 43, ist Verkehrssicherheitsexperte im Stab der Polizei Berlin
Alkoholisiert zu fahren ist sehr gefährlich. 2009 waren bei alkoholbedingten Verkehrsunfällen nahezu 15 Prozent der Verursacher Radfahrer. Bereits ab einem Blutalkoholspiegel von 0,5 Promille verdoppelt sich das Unfallrisiko. Es kommt zu verminderter Reaktionsfähigkeit, Gleichgewichtsstörungen und einer Einengung des Sichtfelds. Diese Auswirkungen sind für Rad- und Autofahrer gleich. Ab 1,1 Promille kann die Risikobereitschaft und die Neigung, aggressiver zu fahren, deutlich ansteigen. Trotzdem gelten derzeit Kfz-Lenker ab 1,1 Promille im Blut als absolut fahruntauglich, Radfahrer aber erst ab 1,6 Promille. Ein Mittel, die Verkehrssicherheit zu steigern, wäre daher, die Grenzwerte für Radfahrer zu senken, weil die alkoholbedingten Beeinträchtigungen bei allen Verkehrsteilnehmern – unabhängig davon, ob sie mit einem Kraftfahrzeug oder dem Fahrrad unterwegs sind – gleich gefährlich sind.
Benjamin Boecker, 25, ist Student in Karlsruhe und hat auf taz.de kommentiert
Als leidenschaftlicher Fahrradfahrer und feierfreudiger Student weiß ich, dass Alkohol und Radfahren einfach nicht zusammengehören. Selbst als geübter Fahrer wird man leichtsinnig und verliert schnell die Kontrolle über sein Rad, wenn man nach einer feuchtfröhlichen Party nach Hause fährt. Auch Reaktionsfähigkeit, Geschwindigkeits- und Entfernungsabschätzung sind stark beeinträchtigt. Ich musste leider schon einige Stürze miterleben, die mit Ausnahme kleinerer Schürfwunden glücklicherweise glimpflich verliefen. Selbst wenn man die Gefahr für die eigene Gesundheit in Kauf nimmt, darf nicht vergessen werden, dass man bei Unfällen auch andere Verkehrsteilnehmer ernsthaft verletzen kann. Wer sich mit seinem Fahrzeug auf die Straße begibt, hat auch immer eine Verantwortung gegenüber anderen. Daher sollte es eigentlich selbstverständlich sein, dass man nach einer Party das Fahrrad besser schiebt – auch ohne Verbot und drohendem Bußgeld. Alkohol hat im Straßenverkehr einfach nichts verloren, egal ob man mit dem Auto oder dem Fahrrad unterwegs ist.
Nein
Yvonne Ploetz, 25, ist Studentin und Nachrückerin für Lafontaine im Bundestag
Durch ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes wurde, unter anderem auf Grundlage verkehrsmedizinischer Erkenntnisse, der Promillerichtwert am Lenker auf 1,6 festgelegt. Eine restriktivere Handhabung ist erst einmal nicht der Weisheit letzter Schluss. Die Verkehrssicherheit wird durch Fahrräder erheblich weniger beeinträchtigt als durch Kraftfahrzeuge. Und das Fahrrad ist nach dem abendlichen Kneipenbesuch oft die einzige Alternative zum Auto, gerade in strukturschwachen Regionen und insbesondere zu später Stunde. Um Alkohol im Straßenverkehr insgesamt entgegenzuwirken, erscheint es daher sinnvoller, den Ausbau von öffentlichem Nahverkehr, Nachtbussen, Alkoholtaxis und so weiter zu forcieren, statt auf repressive Maßnahmen zurückzugreifen. Vergessen wir auch nicht zuletzt, dass das Fahrrad unter Alkoholeinfluss zudem sinnvoll als Gehstütze genutzt werden kann.
Matthias Böhme, 50, ist Richter und hat seinen Leserkommentar auf taz.de gestellt
Muss die Promillegrenze für Radfahrer heruntergesetzt werden? Ein ganz klares Nein! Die Neigung, in dieser völlig verwöhnten, in Watte gepackten Gesellschaft jedes kleinste Problem angehen zu wollen, jedes Risiko ausschalten zu wollen, bedeutet nur eines: Diese Gesellschaft ist hochgradig psychopathisch! Wer auf dem Land lebt, hat ab früher Uhrzeit einfach keine Möglichkeit mehr, auf den öffentlichen Nahverkehr zurückzugreifen. Es ist anerkennenswert, wenn die Leute, wenn sie ein Gläschen getrunken haben – auch eins zu viel – sich nicht ins Auto setzen, sondern auf das Fahrrad. Hört endlich auf mit der Dauerdrangsaliererei der Bürger, der Bevormundung, dem Versuch der Erzieherei von Erwachsenen. 0,5 Promille für Fahrradfahrer ist lächerlich!
Roland Huhn, 53, ist Rechtsreferent des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs
„Das Fahrrad ist ein hohes Gut. Aber bei falschem Gebrauch wird es gefährlich“, schrieb schon Samuel Beckett. Dennoch ist es nicht nötig, Radfahrern das Trinken völlig zu verbieten. Die Strafrechtsprechung hat mit Hilfe der Verkehrsmedizin die absolute Fahruntüchtigkeit bei 1,1 Promille für Kraftfahrer und 1,6 Promille für Radfahrer festgelegt. Denn Auto und Fahrrad stellen unterschiedliche Anforderungen an das Fahrvermögen, außerdem ist die Fremdgefährdung durch Radfahrer geringer. Eine Bußgeldvorschrift sollte sich an diesen weiter gültigen Grenzen orientieren. Daher wären 0,5 Promille als Grenzwert unverhältnismäßig niedrig, 1,6 Promille dagegen sind bereits ein Indikator für Alkoholmissbrauch. Mehr als ein Promille gehen über einen leichten Rausch hinaus und werden bei geselligen Anlässen nur selten erreicht. Ab diesem Grad der Alkoholisierung lässt die Entscheidungsfähigkeit nach, das Trinkverhalten zu steuern oder das Fahrrad stehen zu lassen. Das Unfallrisiko vervielfacht sich; die Folgen eines Sturzes sind schwerer, weil Schutzreflexe verzögert einsetzen. Ein Grenzwert von 1,1 Promille wäre daher sinnvoll.
Markus Schmidt ist Mitglied der Ortsgruppe Frankfurt des Vereins Autofrei leben
Zwischen Radlern und Kfz-Führern gibt es erhebliche Schnittmengen. Jedoch, systembedingt, auch gegenläufige Tendenzen. So nimmt aus physischen Gründen das Radeltempo mit mehr Alkohol im Blut eher ab, nicht so bei den Gaspedalisten. Irgendwann kippt ein Alk-Radler einfach zu Boden – Gefahr vorüber. Im Sessel eines Motor-Vierrads geht der Terror hingegen weiter, bis der Tank leer ist. Bei Alk-Motoristen fehlt also fast jede Selbstregulierung. Da dieser bei Radlern vorhanden ist, bleibt es auch begründbar, weshalb die Eingriffsschwelle höher liegen kann.
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