Altbekanntes in neuen Gewändern

betr.: „Haben die aschkenasischen Juden ein Intelligenz-Gen?“ von Robert Misik, taz vom 4. 7. 06

Vielen Dank für die differenzierte Problematisierung dieser neuen Antisemitismus- und Rassismus-Verkleidung, die allerdings bei genauerem Hinsehen lediglich Altbekanntes in neue Gewänder hüllt. So kompliziert ist die Herausforderung an die Geistes- und Gesellschaftswissenschaften durch den Rassismus im genetischen Kleidchen nicht:

Die Geschlechterstudien diskutieren seit langem die Untersuchungsanordnungen und Vorannahmen, die auf der Suche nach genetischen oder hirnorganischen Geschlechtsunterschieden die Ergebnisse determinieren. Der Schlüssel liegt in der Auswahl der zu untersuchenden Gruppe: Wenn die Unterschiede, die bewiesen werden sollen, erst gesucht werden müssen, sind die ForscherInnen zwangsläufig auf außerwissenschaftliche Kriterien bei der Personenauswahl angewiesen. Nach welchen Kriterien wird denn die Untersuchungsgruppe ausgewählt, wenn der genetische Unterschied erst gefunden werden soll? Zwangsläufig nach den soziokulturell als Differenzkriterien konstruierten Merkmalen. So schließt sich der Kreislauf: Die soziokulturellen, „sichtbaren“ Ausgrenzungsstigmata bestimmen Auswahl der „Untersuchungsobjekte“, und die Stereotype können dann auch im Hirn oder Genpool gefunden werden. Ebenso wie die Suche nach der anatomisch-physiologischen Geschlechterdifferenz auf „wunderbare“ Weise die stereotypen Geschlechterbilder bestätigt, kann dies mit „Rassemerkmalen“ durchexerziert werden.

Hilfreich ist die statistische Methode zur Stilisierung einer kleinen Untersuchungsgruppe als repräsentativ und die methodische Setzung: „Ausnahmen bestätigen die Regel“. Ob nun im Gewand der Biologie des 19. Jahrhunderts, der Kultur oder der Genetik, es ist und bleibt ein Rassediskurs. Statistische Fehler und Grundannahmen bei naturwissenschaftlichen Untersuchungen sind kein Geheimnis, werden allerdings in der öffentlichen Inszenierung gerne weggelassen – womit die Verantwortung für einen differenzierten Umgang bei den Medien liegt. Die in unserer Kultur als Wahrheitslieferant institutionalisierte Neurobiologie und Medizin bedarf einer kritischen und vorsichtigen öffentlichen Rezeption, gerade angesichts der Gesundheitsdebatte. MATTHIAS MERGL, Berlin

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