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Auf verlorenem Posten

HARTES PFLASTER Das Bündnis „HVV umsonst“ hat in Hamburg wenig Einfluss. Die Politik diskutiert nicht mit den Aktivisten, ebenso wenig der Verkehrsverbund. Viel Hoffnungen machen sie sich nicht. Stattdessen schreiben sie wortgewaltige Broschüren

Mobilität kostet. In Hamburg zwei Euro, wenn man mit der U- und S-Bahn oder dem Bus ein paar Stationen fährt. Es gibt allgemeine Zeitkarten, Monats- und Jahreskarten, Seniorenkarten, Schülerkarten, Studentenkarten, Sozialkarten, Karten 1. Klasse und einige mehr. Zu „fairen Preisen“, so der Hamburger Verkehrsverbund (HVV). Wer schwarzfährt, muss 60 Euro blechen. Beim dritten Mal gibt’s eine Anzeige. Oft trifft man an Bahnsteigen breitschultrige Kontrolleure; und wer in Hamburg Busfahren will, muss dem Fahrer zunächst ein Papier vor die Nase halten.

Ginge es nach dem Hamburger Bündnis „HVV umsonst“, wäre all das Geschichte. Sie fordern, den öffentlichen Personennahverkehr gratis anzubieten; eine Idee, mit der sie in Norddeutschland nicht allein sind. Allerdings stößt der Vorschlag bei den Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft seit jeher auf wenig Resonanz. Stets heißt es: Gratis-Nahverkehr könnten sich Stadt und Land nicht leisten; und die Autos würden auch nicht von der Straße verschwinden.

Fünf aktive Mitglieder bilden das Bündnis. Meist treffen sie sich einmal im Monat; manchmal öfter, wenn Aktionen anstehen. So sind sie bereits in Gruppen schwarzgefahren, von den Landungsbrücken bis nach Wilhelmsburg, verteilen Flyer auf Stadtteilfesten und bloggen. Sie arbeiten als Lehrer, Informatiker, Musiker, manche sind bei Attac, Avanti oder dem ADFC.

Einer von ihnen heißt Erhard Buschmann. Der 58-Jährige ist Sozialarbeiter, Mobilität ist für ihn ein öffentliches Gut, vergleichbar mit Bildung und Gesundheit. Jeder habe ein Recht darauf. Gerade in einer Großstadt würden arme Menschen vom ÖPNV ausgeschlossen.

Wenn der Nahverkehr gratis sei, würden die Bürger weniger Auto fahren, sagen die Aktivisten des Bündnisses. Eine Vermutung, zu der es bis dato keine statistischen Erhebungen gibt. Und die Kosten? „Natürlich verbraucht es Ressourcen, den ÖPNV umsonst anzubieten“, sagt Buschmann. Man könne es mit Steuergeldern finanzieren. „Ausgereifte Pläne haben wir leider nicht.“ Die Finanzierung sei nicht der Job der Initiative, sondern des Senats. „Wenn man bedenkt, was die Elbphilharmonie an Ressourcen schluckt: Damit könnte man das U-Bahn-System locker bezahlen.“

Was sie wollen, sei wenigstens die Diskussion, sagt Buschmann. Mit dem Nahverkehr dürfe kein Profit gemacht werden. Nur diskutiere niemand mit ihnen. „Die Politik kommt uns nicht entgegen, der HVV auch nicht.“ Daher sei es unrealistisch anzunehmen, ihr Projekt könne bald Wirklichkeit werden. Derzeit arbeiten sie an einer 46 Seiten starken Broschüre, die wortgewaltig beginnt: „SO GEHT ES NICHT WEITER!“

Das würden auch viele Bürger so sehen, meint Buschmann. Nur würden zu wenige für ihre Überzeugungen eintreten. „Die Leute, denen es am dreckigsten geht“, sagt er, „kommen nicht aus ihrem Loch.“  AMADEUS ULRICH

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