: Warten auf die moderne Kunst
Die Ausstellung „Obergeschoss still closed“ dokumentiert Samuel Becketts Berlin-Aufenthalt im Winter 1936/1937. Dabei zeigt sich, wie genau der Schriftsteller die künstlerische Gleichschaltung im Nationalsozialismus wahrnahm
Einen ungünstigeren Zeitpunkt hätte Samuel Beckett kaum wählen können, als er im Herbst 1936 zu einem sechsmonatigen Deutschland-Aufenthalt aufbricht. Der Besuch wird ihn im Dezember und Januar für einen knappen Monat nach Berlin führen. Während sich über Becketts Motive, seine Reise während des Hitler-Regimes anzutreten, nur mutmaßen lässt, belegt ein Brief, den er zwei Tage nach seiner Ankunft in Berlin an seine Freundin Mary Manning Howe schreibt, dass er sich hier alles andere als wohl fühlt: „Diese Reise ist ein einziges Scheitern. Deutschland ist schrecklich. Ich bin ständig müde. All die modernen Bilder sind in den Kellern.“ Oder sie befinden sich in dem seit Oktober 1936 abgesperrten zweiten Stockwerk des Kronprinzenpalais, wo Gemälde von Künstlern wie Pechstein, Schmidt-Rottluff oder Klee von der Öffentlichkeit ferngehalten werden.
Dem von Beckett in diesem Zusammenhang notierten Satz „Obergeschoss still closed“ verdankt eine Ausstellung im Berliner Literaturhaus ihren Namen, in der die Berlinreise des späteren Literaturnobelpreisträgers ausführlich dokumentiert wird. Bis zum 10. September werden Briefe und Postkarten ausgestellt, die Beckett an Freunde wie Tom MacGreevy schrieb, dazu Bücher, die ihn während seines Aufenthaltes beschäftigt haben. Die Spannweite reicht von Walther von der Vogelweide bis zu nationalsozialistischen Kunst- und Literaturführern. Zudem sind Becketts rotes „Exercise Book“ – darin verfasste er seine Deutschübungen – und signierte Exemplare seiner Werke sowie verschiedene Manuskripte zu sehen.
Integraler Bestandteil der Ausstellung ist Becketts „German Diary“, das einen Blick von außen auf ein Land im Prozess der auch künstlerischen Gleichschaltung gewährt. Neben Notizen zur gesellschaftlichen Situation hielt Beckett seine Gedanken zu einzelnen Kunstwerken – etwa von Giorgione, Vermeer, Caravaggio oder Signorelli – fest, die er im Kaiser-Friedrich-Museum (dem heutigen Bode-Museum) und im Kronprinzenpalais sah. Aus diesen Aufzeichnungen geht hervor, dass Beckett schon damals ein Faible für lebensverneinende Figuren wie den „Raucher“ von Adriaen van Ostade hatte, zu dem er den Satz „Der arme kleine Raucher sitzt mit dem Rücken zur Welt“ notierte.
Häufig entdeckte er Verbindungen zwischen Figuren auf der einen und Freunden oder Verwandten auf der anderen Seite: Botticellis Porträt der Simonetta Vespucci etwa erinnerte ihn an seine Jugendliebe Ethna MacCarthy, in Arnold Böcklins Selbstbildnis sah er Ähnlichkeiten mit seinem Vater. Die zahlreichen Fotografien und Drucke über den Ausstellungsvitrinen verleihen Becketts Gedanken zu den einzelnen Gemälden ein hohes Maß an Plastizität.
Wenn es an dieser umfangreichen und kompetent zusammengestellten Ausstellung überhaupt etwas zu kritisieren gibt, dann höchstens, dass es interessant gewesen wäre, noch klarer die künstlerischen Einflüsse auf Becketts Werk herauszuarbeiten, die sich aus seiner Zeit in Berlin ergaben. Welche Figuren, Motive oder Situationen wurden in späteren Werken aufgegriffen? Gab es direkte Kausalitäten wie etwa im Fall von Caravaggios Gemälde „Enthauptung des heiligen Johannes“, das Beckett auf Malta gesehen und zum Theaterstück „Not I“ inspiriert hatte? Während der Katalog diesen Schritt vollzieht, gelingt es der Ausstellung nicht wirklich, konkrete Zusammenhänge aufzuzeigen, die über eine generelle Beckett’sche Tendenz zum Irrationalismus hinausgehen.
Das ist jedoch nur ein winziger Wermutstropfen, der durch ein umfangreiches Rahmenprogramm mehr als kompensiert wird. In den nächsten Wochen stehen täglich Lesungen aus Becketts Texten, Filmvorführungen, Diskussionsrunden und Vorträge auf dem Programm. Zur Eröffnung am Freitag las der Schauspieler und Regisseur Frank Arnold aus Becketts in deutscher Sprache verfasstem Stück „Mittelalterliches Dreieck“ – eine Weltpremiere. Dass der irische Botschafter die Eröffnungsrede hielt, entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Denn „Obergeschoss still closed“ dokumentiert genau den Zeitraum, in dem Beckett im Begriff war, seinem nicht gerade geliebten Geburtsland für immer den Rücken zuzukehren. ANDREAS RESCH
„Obergeschoss still closed – Samuel Beckett in Berlin“. Bis 10. 9., tgl. 11–20 Uhr, Literaturhaus, Fasanenstr. 23
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen