: Die grünste Uni
NACHHALTIGE UNI Die deutschen Hochschulen sind auf Öko-Trip. 30 Jahre nach Beginn der ökologischen Bewegung wollen sie sich rundum an Zukunftsfähigkeit ausrichten – mit Sonnendächern, in Lehre und Forschung. Aber es gibt einen kleinen Schönheitsfehler: Wie nachhaltig ist der Bachelor eigentlich? Vorreiter ist eine kleine Fachhochschule im Brandenburgischen
Die TU Cottbus tut es, die Universität Tübingen hat eine Arbeitsgruppe, in Köln ist die FH auf der ökologischen Fährte. Die Nase vorn hat bis jetzt aber die kleine Fachhochschule in Brandenburg. Sie nennt sich nachhaltige Hochschule.
■ Nachhaltigkeit geht dabei weit darüber hinaus, sich eine Fotovoltaikanlage aufs Dach zu schrauben und sorgsam mit Strom umzugehen. Nachhaltigkeit soll wie einst in den Forsten von Herzogin Anna Amalia, die das Prinzip im 18. Jahrhundert hoffähig machte, nun das Denken und Leben der Universitäten erfassen. Nachhaltigkeit ist ein neuer Modus von Lernen und Forschen, nannte es 2004 eine Lüneburger Gruppe. (taz)
AUS EBERSWALDE LENA KAMPF
Die Frühlingssonne durchflutet den Buchenwald. Entlang eines kleinen Abhangs sind Messleinen zwischen rot-weiß gestreiften Fluchtstäben gespannt, um sie herum stehen mehrere Studierende und rufen einander Zahlenreihen zu. Eine Dozentin läuft von einer Gruppe zur nächsten und kontrolliert die Geräte. Zwischendrin tollen drei Hunde.
Waldvermessungslehre ist in Eberswalde natur- und praxisnah. Der Waldcampus liegt idyllisch oberhalb der brandenburgischen Kleinstadt. Es scheint, als würde hier der Unterricht nur im Freien stattfinden, auf dem Innenhof wird gesägt, gesetzt, gepflanzt. An der Gebäudewand glänzt die Fotovoltaikanlage.
Die Fachhochschule Eberswalde heißt seit Ende März Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde. Das ist naheliegend für eine Hochschule, die seit 180 Jahren Förster ausbildet, schließlich kommt der Begriff Nachhaltigkeit ursprünglich aus der Forstwirtschaft: Nur so viel abholzen, dass wieder genug nachwachsen kann, ist hier die Devise. „In der Forstwirtschaft hängen Ökologie, Ökonomie und Soziales sehr eng zusammen“, sagt die Dozentin Judith Bielefeld, nachdem die Messübung beendet ist. „Bäume wachsen langsam. Wenn wir hier aufforsten, dass tun wir das nicht für uns, sondern für die nächsten Generationen.“
Diese Denkweise zu vermitteln, ist Aufgabe einer nachhaltigen Hochschule. „Nicht die Leute manipulieren, aber ihnen die Kompetenz zu vermitteln, die Verhältnisse, Gesellschaft, Wirtschaft in dem Stil umzugestalten“, versucht Gerhard de Haan, Zukunftsforscher an der Freien Universität Berlin, das Konzept Bildung für nachhaltige Entwicklung zusammenzufassen. Das Thema sei trotz früherer Absichtserklärungen lange von deutschen Hochschulen ignoriert worden. „Dabei liegen darin auch riesige Potenziale für Hochschulen“, sagt der Bildungsexperte.
De Haan findet, „dass es insbesondere in der Forschung für nachhaltige Entwicklung es Ressourcen und Gelder gibt, die viele Hochschulen noch gar nicht im Blick haben.“ Schon die Hälfte der für 2005 bis 2014 von den Vereinten Nationen ausgerufenen Weltdekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ ist verstrichen. Langsam beginnt sich nun aber auch in der deutschen Hochschullandschaft etwas zu bewegen. Die deutsche Hochschulrektorenkonferenz erklärte ebenfalls im März, dass Hochschulen sich in Lehre, Forschung und Verwaltung stärker für nachhaltige Entwicklung engagieren wollen.
Die Umbenennung könnte die kleine Eberswalder Hochschule zur Vorreiterin in der Umsetzung eines so schwammigen Konzepts wie Nachhaltigkeit machen. Doch was macht eine Hochschule eigentlich tatsächlich nachhaltig – jenseits von grünen Studiengängen und Ökostrom?
Eine klar umrissene Vision hat der Eberswalder Hochschulpräsident Wilhelm-Günther Vahrson auf den ersten Blick gar nicht. Die Umbenennung bedeutet für ihn, dass Prinzipien der Nachhaltigkeit stärker als bisher gelebt und umgesetzt werden. „Wir wollen ein Signal senden, nach innen und nach außen“, sagt er. In der Lehre heißt das für ihn: ressourcenschonendes Vorgehen in allen Bereichen verstärkt zum Thema zu machen, nicht nur in den klassisch grünen Studiengängen wie Ökolandbau. Seit letztem Jahr ist daher eine fächerübergreifende Nachhaltigkeitsvorlesung für alle Erstsemester verpflichtend, in der Fragestellungen der Nachhaltigen Entwicklung aus verschiedenen fachlichen Perspektiven beleuchtet werden.
Das Bewusstsein für Nachhaltigkeit soll aber nicht an den Campusgrenzen enden. „Wir haben ein Interesse daran, dass unsere Absolventen bei relevanten Arbeitgebern unterkommen und dazu beitragen, gesellschaftliche Probleme zu lösen“, sagt Pierre Ibisch. Der Eberswalder Professor für Naturschutz betont, dass dies auch im Bereich der angewandten Forschung beginne, wo man sich darum bemühe, mit Praxispartnern, etwa aus der regionalen Wirtschaft oder mit benachbarten Naturschutzgebieten, zusammenzuarbeiten, um den Gedanken der Nachhaltigkeit in den Unternehmen umsetzbar zu machen.
Dass die Hochschule in Eberswalde selber lebt, was sie lehrt und worüber sie forscht, ist selbstverständlich: Seit letztem Jahr ist sie durch den EU-Öko-Audit Emas zertifiziert, hat eine ökologische Beschaffungsrichtlinie. Die Anstrengungen haben Außenwirkung: Die Internetplattform Utopia ermittelte sie 2009 als „grünste Hochschule“ Deutschlands.
Den StudierendenvertreterInnen des Allgemeinen Studentenausschuss, kurz Asta, reicht das aber noch nicht. Die Asta-Mitglieder und engagierten Studierende haben sich vor der Mensa des Stadtcampus zum Gespräch versammelt – bei Bioessen, versteht sich. Sie sind frustriert, dass die Hochschulleitung mit Nachhaltigkeit vor allem die Ökologisierung der Lehre und Verwaltung im Blick hat. Nachhaltigkeit ist für sie aber mehr als grün. „Die Hochschule ist noch lange nicht an dem Punkt, Nachhaltigkeit als Ganzes verstanden zu haben. Es muss sich ganz dringend einiges ändern, damit man hier von einem nachhaltigem Studium sprechen kann“, ärgert sich Dennis Weidelich, seit einigen Wochen Asta-Vorsitzender und Student des Bachelors Landschaftsnutzung und Naturschutz.
Er nimmt Nachhaltigkeit auch fürs Studium wörtlich: Starke Verschulung, zu viele Präsenzstunden und Prüfungen – das ist alles Lernbulimie statt nachhaltigem Studium. Auch die Zertifizierung als „Familienfreundliche Hochschule“ tröstet seine Kommilitonin Sarah Buron nicht: „Eine studierendenfreundliche Hochschule würde den Lebenssituationen aller Studierenden besser gerecht werden, auch Menschen mit Kind.“ Die 24-Jährige macht das Bologna-Korsett für die Belastungen verantwortlich.
ASTA DER FH EBERSWALDE
Der FU-Professor de Haan macht stattdessen fehlendes Bewusstsein für Nachhaltigkeit, fachliche Ausrichtung und knappe Ressourcen dafür verantwortlich, dass nur wenige Hochschulen das Thema bisher systematisch angegangen sind: „Die Bologna-Reformen widersprechen Bildung für nachhaltige Entwicklung nicht, sie befördern sie aber auch nicht“, sagt er. Die Modularisierung der Bachelorstudiengänge könnte transdisziplinäres Arbeiten sogar durchaus vereinfachen.
Wenn Nachhaltigkeit nicht bloß Marketingstrategie sein soll, bedarf es grundlegender Umstrukturierungen. Aspekte einer Bildung für nachhaltige Entwicklung wie Interdisziplinarität und Partizipation lassen sich nicht in einer klassischen Seminarstruktur umzusetzen, findet Gerhard de Haan: „Man muss neue Lernformen finden, bei denen man selber experimentell was machen kann, das setzt eigentlich viel stärker Gruppenaktivität, eigene Kreativität und ein forschendes Lernen voraus.“ Beispiele dafür gibt es in Deutschland: Die Leuphana Universität Lüneburg hat ein College geschaffen, an dem alle Bachelorstudiengänge fächerübergreifend mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung angesiedelt sind. Dies ermöglicht auch neue Lehr- und Lernarten in Form von Lerntagebüchern und erfahrungsbasierten Projekten.
Die Studierenden in Eberswalde vermissen diese Elemente einer Bildung für nachhaltige Entwicklung an ihrer Hochschule. Mit Ausnahme von einigen Masterstudiengängen machen ihrer Meinung nach begrenzte Wahlmöglichkeiten, enge Stundenpläne und nicht zuletzt ein fehlendes einheitliches Vorlesungsverzeichnis interdisziplinäres und eigenständiges Lernen unmöglich.
Dass die ärgsten Kritiker aus den eigenen Reihen stammen, überrascht den Hochschulpräsidenten Wilhelm-Günther Vahrson gar nicht. „Wir haben uns mit der Umbenennung auch eine Messlatte gesetzt und müssen uns stärker für unser Handeln rechtfertigen“, sagt er. Nachhaltigkeit soll hier nicht einfach ein Namenszusatz sein. Doch was genau die Messlatte ist, scheint sich erst langsam herauszukristallisieren. Nachhaltigkeit als Langzeitexperiment also.
Die Sonne hat auch den grünen Innenhof des Eberswalder Stadtcampus erreicht. Bianca Weiß sitzt mit am Tisch vor der Mensa. Sie hatte sich als Studierendenvertreterin lange gegen die Umbenennung gewehrt, weil sie Angst davor hatte, dass die Hochschule sich mit einem inhaltsleeren Marketingbegriff schmückt. Mittlerweile versteht sie darunter einen Appell an alle Hochschulmitglieder: „Wenn der Name irgendwie stimmen soll, dann nur als Auftrag an uns selber, dass wir die vielen Probleme, die wir sehen, anpacken und daran arbeiten.“
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