piwik no script img

Aus dem Versteck

GAY GAMES Die Sportspiele bieten den Athleten einen angstfreien Raum – für viele eine neue Erfahrung

KÖLN taz | Jeffrey Johnson ist Achter geworden, der Rückstand auf den Sieger war enorm, nur zwei Läufer waren langsamer als er über 1.500 Meter. Trotzdem steht er hinter der Ziellinie und lacht. Sein Blick streift die Tribüne, wo hunderte Zuschauer sitzen und auch ihm applaudieren. „Als Jugendlicher hätte ich mir das nicht träumen lassen“, sagt er. „Es ist fantastisch, wie offen die Menschen hier miteinander umgehen.“ Jeffrey Johnson stammt aus Kingston, Jamaika. Ein Rennen, wie er es hier am Kölner Stadtwald bestritten hat, hätte ihn in seiner Heimat ins Gefängnis bringen können. Vielleicht hätte er um sein Leben fürchten müssen.

Die Gay Games, die Olympischen Spiele der Homosexuellen, sind erstmals in Deutschland zu Gast, in Köln. Mehr als zehntausend Lesben und Schwule aus siebzig Ländern treten in 35 Sportarten an. Die meisten müssen keine Verfolgung fürchten. Doch einige Teilnehmer leben in ständigem Risiko, sie stammen aus Südafrika, Afghanistan, Pakistan oder aus Jamaika, wie Jeffrey Johnson: „Homosexuelle drohen dort zehn Jahre Gefängnis und Zwangsarbeit“, sagt er. „Schwule sind schon ermordet worden. Und die Regierung unternimmt nichts dagegen.“

Die Gay Games, die 1982 in San Francisco Premiere hatten, haben sich längst zu einem Fanal für Menschenrechte ausgewachsen. Jeder ist willkommen, unabhängig von Alter, Herkunft, Religion, Gesundheitszustand, Talent und vor allem: Sexualität. „Die Gay Games haben etwas sehr Befreiendes“, sagt Jeffrey Johnson. Er lebt in Bergisch Gladbach. Durch Zufall war er nach Deutschland gekommen. Er suchte eine Brieffreundschaft, eines der Schreiben landete bei Holger Jakobs, seinem heutigen Ehemann. Zur Homosexualität hat er sich erst in Deutschland bekannt, mit 31. In Jamaika hatte er sich verstecken müssen, vor seiner Familie, seinen Freunden, seinen Kollegen. Jede Bewegung musste er kontrollieren, jeden Augenaufschlag.

Bis ins 20. Jahrhundert galt Sport als Erziehungshilfe, um den Sexualtrieb zu zügeln. Dokumentiert wird das im Deutschen Sportmuseum am Kölner Zollhafen. Die Ausstellung „Gegen die Regeln“ zeichnet die Lebenswege von Athleten nach, für die Homosexualität zum Abgrund wurde. Zum Beispiel von Peter Karlsson, einem schwedischen Eishockeyspieler, der 1995 in einer Disko ermordet wurde, mit 64 Messerstichen. Oder von Justin Fashanu, einem englischen Fußballer, der sich 1998 das Leben nahm, weil der Druck der Öffentlichkeit ihm zu stark geworden war. Angst gibt es immer noch. In Köln treten Teilnehmer unter falschem Namen an. Jeffrey Johnson hat das Versteckspiel hinter sich gelassen. Er ist inzwischen deutscher Staatsbürger, leitet die Pflegeabteilung eines Seniorenheims. Vor acht Jahren kam seine Mutter zu Besuch, sie weinte bitterlich. Sie wollte nicht glauben, dass ihr Sohn nicht auf Frauen steht.

Wer sich abends Richtung Kölner Innenstadt aufmacht, den Neumarkt oder den Rudolfplatz passiert, der glaubt, Todesgefahr für homosexuelle Sportler habe es letztmals im Mittelalter gegeben. Die Teilnehmer der Gay Games genießen ihre Partys, Festivals und Konzerte. Es geht um Sport und Spaß. Doch die Organisatoren unternehmen viel, um den Status als politisches Forum zu erhalten, mit einem Stipendiaten-Programm etwa. Für die Gay Games 2002 in Sydney richtete es sich an die australischen Ureinwohner. Für hundert Aborigines wurden Unterkünfte, Anreise und Kleidung bezahlt. Die Kölner unterstützen nun Athleten aus Osteuropa. Für viele von ihnen war die Eröffnungsfeier am Samstag eine Sensation. Vor 25.000 Zuschauern sprach Außenminister Guido Westerwelle über seine homosexuelle Beziehung. „Für meinen Partner und mich ist es ein Privileg, dass wir uns hier treffen können ohne Angst“, sagte er in seiner Rede. „Aber wir dürfen nicht die vergessen, die dieses Privileg nicht haben und unterdrückt werden.“ Jeffrey Johnson hätte es nicht besser formulieren können. RONNY BLASCHKE

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen